Familiengeschichte: Weiter wandern und neue Wurzeln schlagen….

Nach Familienerzählungen wurde der Hof in Gnidau ca. 1932 verkauft, die Familie siedelte sich neu an in Marynkow (Beresk), einer  inzwischen untergegangenen Kolonie, die lt. Ortschaftenindex 1923 aus 39 Höfen bestand mit 268 Einwohnern (144 männl., 124 weibl.), 241 davon waren evangelisch-lutherisch.*  Die Bewirtschaftung erwies sich allerdings als schwierig: ein hoher Grundwasserstand und dadurch häufig überschwemmte Wiesen und Felder verhinderten die nötigen Erträge. Eine Karpfenzucht reichte zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus. 

 

Erzählungen zufolge fanden die Kinder auf den Wiesen und Feldern gelegentlich noch Munition aus dem 1. Weltkrieg.

 

 

 

 

 

 

 

Schließlich wurde der Hof in Marynkow  ca. nach drei  Jahren schon wieder verkauft, die Familie zog in die kleine, 1867 gegründete Eigentümer-Kolonie Kurant (östlich von Kisielin) die lt. Ortschaftenindex 1923 aus 11 Höfen bestand (67 Einwohner: 32 männl., 35 weibl.,  davon 56 ev.-luth.).  Die Gottesdienste fanden in der Kirche im nahegelegenen Miroslawow statt

 

                                               

           

                   Kirche in Marynkow (1938)**                                                                       Konfirmationsurkunde 1937    (gez.  Pastor Schön)                                                                                                                                              

Die Kinder besuchten die Schule in dem südlich gelegenen Städtchen Ozdziutycze.

Der neu erworbene Hof soll vorher von einer jüdischen Familie gepachtet gewesen sein, die dort auch ein Geschäft betrieb. Erinnert wird aus dieser Zeit noch  ein Sohn Herschel  und eine Tochter Sonja.

Der Landbesitz soll ca. 20 Hektar umfasst haben. Es gab einen großen Obstgarten mit ca. 200 Bäumen. Dazu wurde Vieh gehalten: 20 Kühe, auch Schafe, Schweine, Hühner, Gänse, Puten und  außerdem 4 Pferde für die Feldarbeit.

Aus Kurant ist die Familie Ende 1939 in das Wartheland umgesiedelt worden, in einen Ort namens Swoboda (Trebski),  südlich von Gostynin. Hier erhofften sie, wieder landwirtschaftlichen Besitz zu bekommen  - in etwa der Größe*, wie sie ihn in Wolhynien aufgegeben hatten.  Aber das Schicksal meinte es ein weiteres Mal nicht gut mit ihnen.

Nach dem Lageraufenthalt in Pabianice bei Lodz  erfolgte 1940 die Ansiedlung in Swoboda-Tręska / Gemeinde Szczawin / Kreis Gostynin  (lt. EWZ-Bogen).   Die Flucht vor der russischen Armee 1945 misslang: Die Eltern mit drei Kindern konnten Polen nicht verlassen und wurden an verschiedenen Orten in Zwangsarbeitsverhältnisse genötigt. Aus erhaltenem privatem Schriftwechsel der Jahre 1949 - 1956 ist bekannt, dass die Familie getrennt wurde: der Vater wurde zunächst auf einen landwirtschaftlichen Betrieb in Szczawin verpflichtet, die Mutter dem Rittergut in Luszyn zugeteilt zum Vieh-Hüten, der ältesten Tochter wurde eine Arbeitsstelle in Kamieniec zugewiesen. Sie alle arbeiteten fast nur für Kost und Logis, d.h. kaum einmal wurde ihnen Lohn ausgezahlt.  Aus späteren Briefen ergibt sich, dass die Familie wiederum an anderen Orten lebte – weiterhin getrennt in den Orten Dobropole, Ploszków und Pyritz im Kreis Stargard / Westpommern.

Der älteste Sohn war bereits 1945 als Soldat in amerikanische Gefangenschaft geraten, er nahm nach der Entlassung seinen Wohnsitz in der DDR.  Der zweitälteste Sohn (Pilot der Luftwaffe) geriet in Gefangenschaft in dem berüchtigten Rheinwiesenlager der westlichen Siegermächte, von wo aus er sich nach der Entlassung in der Nähe von Köln sesshaft machte und Arbeit fand. Die Bemühungen der beiden Brüder und eines Schwagers um eine Ausreisegenehmigung für Eltern und Geschwister blieben lange erfolglos. Eine erste Initiative der Volksrepublik Polen 1950 zur Zusammenführung deutschstämmiger Familien auf dem Gebiet der DDR und der BRD wurde nach einigen Monaten wieder eingestellt.  Erst 1955 und 1956 gab es neue Regierungsgespräche, und man verständigte sich - unter Einbeziehung des polnischen und deutschen Roten Kreuzes - über erneute Anläufe zur organisierten Ausreise von Deutschen aus Polen in die DDR und nach Westdeutschland.1)

 

1) vgl. Grzegorz Hryciuk, Małgorzata Ruchniewicz, Bożena Szaynok, Andrzej Żbikowski „Umsiedlungen, Vertreibungen und Fluchtbewegungen 1939 – 1959. Atlas zur Geschichte Ostmitteleuropas“, herausgegeben von der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn, 2013

Dobropole und Ploszków / Landkreis Stargard / Westpommern   https://goo.gl/maps/AHtUG9DuA2GgbZ7p9 

Pyritz / Stargard / Westpommern   https://goo.gl/maps/Wa9NBeVbFMhaShNA6 

Kamieniec https://goo.gl/maps/9EUpZcog1e3T5yF47 

Szczawin   https://goo.gl/maps/16pxYH5HwePKANyZ9 

Luszyn  https://goo.gl/maps/WSoWXLU54QUK6NLc7     Schloss (Rittergut?) Luszyn  http://www.polskiezabytki.pl/m/obiekt/3471/Luszyn/ 


Die Namen der deutschen Kolonien Kurant und Marynkow sind auf sowjetischen Karten aus den 1940er Jahren schon nicht mehr verzeichnet. (vgl. Ausschnitt der Region um Beresk  - Download pdf. 185 KB


*zu den Ansiedlungsplänen vgl.  Litzmannstädter Zeitung, Ausgabe 12.4.1940, Seite 8   

http://bc.wimbp.lodz.pl/dlibra/publication/29011?tab=1     >>> Auszug  Download pdf 943 KB  

 

Karte: Wartheland 1941  (djvu-Format,  11 GB)   

http://rcin.org.pl/dlibra/info?forceRequestHandlerId=true&mimetype=image/x.djvu&sec=false&handler=djvu&content_url=/Content/30199/WA51_36309_PAND6516-r1941_Wartheland-Ravenstei_0002.djvu

 


Anmerkung: Insgesamt waren von der Umsiedlung mehr als 66.000 Männer, Frauen und Kinder aus Wolhynien betroffen, wobei hier aus rechtlicher Perspektive nicht von unmittelbar kriegsbedingter Vertreibung /Flucht gesprochen werden kann, denn die Aktion beruhte auf einem (allerdings undemokratisch zustande gekommenen) Vertrag zweier Staaten über einen Bevölkerungsaustausch in den Grenzgebieten:                                       www.forost.ungarisches-institut.de/pdf/19391116-1.pdf

 

Die Information über den Beginn der Umsiedlung erfolgte z.B. über Plakate mit folgendem Wortlaut:

"A U F R U F !

Die Regierung des Deutschen Reiches und die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken sind übereingekommen, dass die deutschstämmige Bevoelkerung aus dem früher zum polnischen Staate gehörenden Geibete der West-Ukraine und West-Weissrusslands frei und unbehindert auf deutschen Boden ausreisen kann, wenn sie den Wunsch dazu hat.

Wir rufen alle Deutschstämmigen auf, sich beim deutschen Bevollmaechtigten an den angegebenen Orten zu melden und den Wunsch zur Umsiedlung zu äußern!

Alle Deutschen, die das 14. Lebensjahr erreicht haben, können den Wunsch zur Umsiedlung  beim deutschen Bevollmächtigten in persönlicher Meldung (mündlich oder schriftlich) vorbringen.

Für die Ausreise von Kindern bis zu 14 Jahren genügt die Meldung des Familienoberhaupts.

Zur Meldung sollen nach Möglichkeit Urkunden über die Volkstumszugehörigkeit des Auswanderungswilligen vorgelegt werden.

Wer sich zur Umsiedlung meldet, muss sich beim deutschen Bevollmächtigten genauestens über die für die MITNAHME DER HABE bestehenden Bestimmungen, sowie über die für die Ausreise vorgesehene Ordnung erkundigen.

Der Zugang zum Melde-Lokal (Ort der Registrierung) ist für alle, die auszusiedeln wünschen,  unbehindert.

Die Verbindung zwischen Euch und den deutschen Bevollmächtigten ist frei.

Die Umsiedlung beginnt am ............  und wird in kürzester Zeit durchgeführt.

Der Deutsche Bevollmächtigte für die Umsiedlung"

 

(als amtlicher Text im Sinne des § 5 UrhG  gemeinfrei; zitiert nach W. Lorenz  (Hg) "Der Treck der Volksdeutschen aus Wolhynien, Galizien und dem Narew-Gebiet", Berlin 1942)


>>>  Impression von der Ankunft  einer Umsiedlerfamilie   (Quelle: Österreichische Nationalbibliothek) 

* H. v. Rosen hat in seinem Buch "Wolhynienfahrt 1926" (J. G. Herder-Bibliothek Selbstverlag 1982, Einlegeblatt nach Seite 52)  folgende Daten festgehalten: die Kolonie hatte ein Bethaus und eine Kantoratsschule;  sie verfügte über 326 deutsche Einwohner (38 Kinder),  im 1. Weltkrieg waren alle Familien vertrieben - 13 Familien sind in Deutschland geblieben; die frühere Pferdezucht war vernichtet;  einem Hinweis Seite 14 ist zu entnehmen, dass die Kolonie ursprünglich aus 71 Höfen bestanden haben soll, wobei bereits aufgrund der Russifizierungspolitik Ende des 19. Jahrhunderts 54 Familien und 8 Einzelpersonen ausgewandert waren.    

**Foto aus "Wolhynien - Linstow; Erinnerungen für die Zukunft. Erlebnisberichte von Wolhyniendeutschen und ihren Nachkommen", Hrsg. Heimatverein Linstow e.V., 2002

Ich danke dem Heimatverein für die Zustimmung zur Veröffentlichung.


-------------------------------

letzte Änderung 12.06.1921