Die Lage der deutschen Flüchtlinge aus Wolhynien in Ostpreußen*

Abschrift aus: Wolgadeutsche Monatshefte,  Jahrgang 1923, Heft 2, 7/8, Seite 103;

( Autor nicht angegeben)

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„In den Kriegsjahren 1915 – 1918 sind auf Veranlassung der deutschen Regierung ca. 30-40 000** deutsche wolhynische Flüchtlinge nach Ostpreußen gekommen. Sie brachten all ihr Hab und Gut, viele von  ihnen ihr vollständiges Inventar mit. Bei ihrer Ankunft in Deutschland wurden diese Flüchtlinge vom „Fürsorgeverein für deutsche Rückwanderer“ registriert und als Landarbeiter bei Gutsbesitzern und Bauern untergebracht. Diesen gewissenhaften und tüchtigen Leuten hat die Provinz es mit zu verdanken, daß die landwirtschaftliche Produktion während der schweren Kriegsjahre auf ihrer alten Höhe erhalten werden konnte. Die deutsch-wolhynischen Flüchtlinge haben somit ihren vollgemessenen Anteil an den Kriegsleistungen des deutschen Volkes und sind ihrem Mutterlande nichts schuldig geblieben. Die deutsch-wolhynischen Flüchtlinge wurden, wie sich das von diesen deutschstämmigen Rückwanderern (sic!), die dazu noch lediglich auf Veranlassung der deutschen Regierung ins Land gekommen waren, den Inländern in jeder Hinsicht vollkommen gleichgestellt.  Leider hat in der letzten Zeit dieses durchaus angemessene Verhalten der deutschen Behörden sich zuungunsten der deutschen Wolhynier gewandelt. Das   Z e n t r a l – K o m i t e e   der Vereine aus den Kolonistengebieten Rußlands hat darüber einen Bericht des Vertrauensmannes des Vereins der Deutschen Wolhynier in Ostpreußen, Herrn David Pauli, entgegengenommen, dessen Inhalt wir kurz wiedergeben wollen.

Die Aenderung im Verhalten der deutschen amtlichen Stellen ist auf Betreiben der Landarbeiterverbände erfolgt. Die einheimischen Landarbeiter haben in den deutschen wolhynischen Flüchtlingen stets nur lästige Konkurrenten sehen wollen. Die deutschen Wolhynier wurden gezwungen, aus den Landarbeiterverbänden, denen sie sich angeschlossen hatten, auszuscheiden. ferner gelang es den Landarbeiterverbänden, die Regierung zu veranlassen, sämtliche Vergünstigungen, die den Wolhynischen Rückwanderern bisher zustanden, aufzuheben. Die deutschen Wolhynier sind jetzt nichts anderes als Ausländer, deren man sich als billige Arbeitskräfte bedient.  Sie müssen ebenso, wie die polnischen Landarbeiter, die sogenannten Sachsengänger, besondere Legitimationsscheine lösen, wobei sie häufig nicht imstande sind, die recht hohen Gebühren zu bezahlen. In diesem Falle droht diesen Leuten, die, wie wir immer wieder betonen müssen, von der deutschen Regierung ins Land gezogen worden sind, 

Ausweisung als lästige Ausländer!

Die Leute, die sich in Ostpreußen seßhaft gemacht haben und beginnen, dort bodenständig zu werden, sollen wieder von ihren Wohnorten vertrieben  und einer ungewissen Zukunft preisgegeben werden. In ihrer Verzweiflung haben viele von diesen deutschen Wolhyniern beschlossen, wieder nach Wolhynien zurückzukehren. Sie haben sich an die Ukrainische Vertretung in Berlin gewandt, doch ist ihnen der Bescheid zuteil geworden, daß eine Rücksiedlung nach der Ukraine nicht möglich ist. Das Land, das sie besessen haben, ist inzwischen in andere Hände übergegangen, und die Ukrainische Regierung will es vermeiden, daß durch das Wiedererscheinen der alten Besitzer Weiterungen entstehen.  Da in Rußland das Privateigentum auf Land aufgehoben ist, haben die Flüchtlinge keinerlei Hoffnung, von der Ukrainischen Regierung irgend einen Ersatz für ihre früheren Besitztümer zu erhalten. Fall sie auf ihr früheres Land verzichten, könnten sie freilich zurück, doch nur dann, wenn sie die ukrainische Staatsangehörigkeit noch nicht verloren haben, auf eigene Kosten reisen, ein vollständiges landwirtschaftliches Inventar und Lebensmittel für ein halbes Jahr mitbringen. Den verarmten Wolhyniern, die für ihr verlorenes Vermögen nirgendwo Ersatz erhalten haben, ist die Erfüllung dieser Bedingungen unmöglich.

Eine Rückwanderung nach dem polnisch gewordenen Teil Wolhyniens ist gleichfalls ausgeschlossen, da die Polen deutsche Rückwanderer nicht zulassen.

Die Folge davon ist, daß die deutschen wolhynischen Rückwanderer vogelfrei  sind und ein willkommenes Objekt für jeden gewissenlosen Ausbeuter, deren es ja leider in jedem Lande viel zu viele gibt. Wir machen hiermit die zuständigen amtlichen Stellen auf die geschilderten, tief bedauerlichen Zustände aufmerksam. Das Zentral-Komitee ist zurzeit damit beschäftigt, weiteres Material darüber zu sammeln, von dem es entsprechenden Gebrauch machen wird, um die Lage der unglücklichen Wolhynier zu erleichtern; wir möchten aber gern hoffen daß dieser Hinweis genügen wird, die geschilderte Behandlung sofort abzustellen.“

 

* Irrtum der Abschrift vorbehalten  (Rechtschreibung aus der Vorlage übernommen)

**Ein Bericht im Ostpreußenblatt  - Ausgabe 13.4.1957, Seite 12 - nennt die Zahl von 19.000 Wolhyniern, die im 1. Weltkrieg in Ostpreußen Aufnahme fanden.    online: (9,24 MB)   http://archiv.preussische-allgemeine.de/1957/1957_04_13_15.pdf.


Die Rigasche Zeitung meldet unter dem 2. Mai 1918, dass in Ostpreußen rund 23.000 Wolhyniendeutsche Aufnahme gefunden haben. Eine Ansiedlung auf eigenem Grund und Boden konnte vom Staat aus finanziellen Gründen nicht unterstützt werden. Sie sind angestellte Landarbeiter, die sich gleichwohl in die neuen Verhältnisse eingewöhnt haben.

vgl. hierzu eine Erzählung der Schriftstellerin Katarina Botsky (Königsberg) aus dem Jahr 1917


Pastor Friedrich Rink beziffert die Gesamtzahl der Wolhyniendeutschen im Deutschen Reich nach 1918 auf 70 000, die sehr verstreut lebten in Ostpreußen, Schlesien, Pommern, Brandenburg, Sachsen, Hannover und Schleswig-Holstein.  Nach einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen wanderten viele aus  - entweder zurück auf die zerstörten Wirtschaften in Wolhynien, oder zu Verwandten nach Amerika.

Friedrich Rink "Das organisierte deutsche Wolhnyiertum in Deutschland" in: Deutsche Post aus dem Osten, 1928, Heft 8, Seite 178 f.


 

Erinnerung an Wolhynien-Deutsche auf dem Friedhof in Heilsberg: 

http://www.heilsberg.org/seiten/geschichte-sonstiges.html#RussenFriedhof 
 

Wolhynier 1916  als Verpflegungsgäste in der Bethesda-Anstalt Angerburg:

http://www.angerburg.de/bethesda1.htm

 

 

Zum Weiterlesen:

 

Jochen Oltmer

"Migration und Politik in der Weimarer Republik"

Göttingen 2005

online: Digitale Sammlung der Bayerische Staatsbibliothek

http://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00045815_00001.html?prox=true&subjectSWD=%7BGeschichte+1918-1933%7D&context=&ngram=true&hl=scan&LOC_ent=%7BAachen%7D&mode=simple

 

Hans Siegfried Weber

"Rücksiedlung Auslanddeutscher nach dem Deutschen Reiche"

(Dissertation)  Jena 1915

online:  https://archive.org/stream/rcksiedlungaus00webe#page/66/mode/2up/search/Wolhynien

 

Hans Siegfried Weber

"Deutsch-russische Rücksiedlung"

Dresden / Leipzig 1917 (63 Seiten; zu Wolhynien-Deutschen in Ostpreußen: u.a. Seite 21, 24-26)

Der Autor berichtet u.a. über den 1909 gegründeten "Fürsorgeverein für deutsche Rückwanderer", der innerhalb von fünf Jahren rd. 25.000 Deutsche aus Rußland wieder im Deutschen Reich angesiedelt habe; etwa 60% hiervon stammten aus Wolhynien, der übrige Teil aus der Wolga-Region.

 

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letzte Änderung 10.11.2018