Abschrift (Auszug):

Georg Kyrle (1887 – 1937)*

"Siedlungs- und Volkskundliches aus dem wolhynischen Poljesie"

in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft Wien, Ausgabe 48, 1918, Seite 118 - 145

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Vorwort

Die vorliegende Studie entstand im Felde, die Materialaufnahme hiezu wurde vom Herbst 1915 bis zum Frühjahr 1917 gemacht. Einem Feldepidemielaboratorium zugeteilt, das gegebenenfalls auch Assanierungsarbeiten durchzuführen hatte, war mir reichlich Gelegenheit geboten, die materielle Kultur der Landbevölkerung zu studieren, wozu der günstige Umstand trat, daß manche der durchsuchten Dörfer während des Stellungskrieges außerhalb des engeren Kampfgebietes lagen, deshalb nur spärlich von Truppen belegt waren und so die ursprünglichen Verhältnisse nur wenig verändert vorgefunden wurden. (…)

Einleitung

Unter Polesje (Waldland) verstehen wir die große südrussische Landschaft, welche zwischen der weißrussischen und wolhynischen Platte liegt, im Westen etwa bis zum Bug reicht und östlich des Dnjepr von der zentralrussischen Platte begrenzt wird. Dieses ganze Gebiet ist eine Sumpfebene, zum weitaus größten Teile das Entwässerungsgebiet des Pripet.

Es umfaßt den südlichen Teil des Gouvernements Minsk, den westlichen von Kiew und die Tieflandzone Wolhyniens. Von dem Teile dieser Tieflandzone, die zwischen Turija, Pripet und Styr liegt, und von der materiellen Kultur der dort lebenden Ukrainer soll im folgenden die Rede sein.

     

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I. Landschaft und Siedlungen

Den geologischen Untergrund des   P o l j e s i e   bildet Kreidemergel. Er tritt fast nirgends zutage, sondern ist bedeckt von Sumpf- oder diluvialem Sande.

Die aus diesen Sanden bestehenden   D ü n e n,  die sich kaum jemals mehr als 20 m  über das Sumpfterrain erheben, bilden die einzigen dauernd trockenen Stellen der Landschaft. Sie sind von unregelmäßiger Gestalt, manchmal plateauähnliche Erhebungen von mehreren Quadratkilometern Ausdehnung, zumeist aber seichte Rücken, einige Kilometer lang und wechselnd breit, nur mit schütterem Wald oder Steppengras bewachsen. Die unbewachsenen, wandernden Dünen werden von den heftig und lange dauernden Stürmen verändert, oft sogar rasch abgetragen. Infolge der permanenten und mehrmals im Jahre eintretenden Versumpfung aller tiefer liegenden Teile stellen die Dünen die einzigen geeigneten Stellen für menschliche Siedlungen und für den Ackerbau dar.

Das   S u m p f g e b i e t,   das mehr als zwei Drittel des Landes beansprucht, kann man in ein permanentes und in ein periodisches teilen. Das   p e r m a n e n t e  ist nicht allzu groß und findet sich nur an den tiefsten Stellen des Landes und im Gefolge der Wasserläufe und Seen. Dafür ist aber das   p e r i o d i s c h e   von außerordentlicher Ausdehnung. Durch häufig auftretende Hochwässer, bei welchen die Flüsse alles überfluten, zur Zeit der Schneeschmelze und bei starken Regengüssen, die im Frühsommer und Herbst von besonderer Intensität und Dauer sind, verwandelt sich das ganze Land gewissermaßen in einen großen Sumpf, aus dem die spärlichen Sandplateaus und Dünen als einzige trockene Oasen herausragen.

Da das Gefälle der ganzen Sumpfebene gering ist und das Grundwasser sehr hoch steht, vermindern sich die Wassermengen nur langsam wodurch das periodische Sumpfgebiet höchstens einige Monate im Sommer trocken ist. Als Überreste der Überschwemmung bleiben Sumpfseen und zahllose Tümpel. Bei Einbruch der kalten Jahreszeit ist das Land meist noch von den Herbstregengüssen überschwemmt. Das stehengebliebene Oberflächenwasser überdauert als Eis den Winter und verstärkt so die Versumpfung  zur Zeit der Schneeschmelze.

Das permanente Sumpfgebiet ist entweder echter Waldsumpf, Bruch oder Moor, nur in einem sehr strengen Winter passierbar, das periodische Sumpfgebiet meist Wald, größtenteils ohne Unterholz, nur zum geringen Teile Weideland mit hartem, schilfartigem Grase, in der Trockenperiode (Hochsommer) und im Winter passierbar.

Die   F l ü s s e   und   B ä c h e   fließen durchwegs träge, ihre Ufer sind weithin versumpft und vielfach von zahlreichen Armen Altwasser begleitet. An manchen Stellen finden sich fluviatile Sand- und Schlammablagerungen, die mäßig überhöhte Ufer bilden. Diese werden auch für Besiedlungen bevorzugt.

Neben den rezenten Sumpfseen und den manchmal mehrere quadratkilometergroßen diluvialen Seen, die fisch- und krebsreich sind, findet sich noch ein verschieden dichtes Netz künstlicher Entwässerungskanäle, das aber bis jetzt noch nicht die gewünschte Meliorisierung des Bodens gebracht hat.

Das   L a n d s c h a f t s b i l d  wird beherrscht von den großen, allerdings schütteren Föhren-, Birken- und Eichenwäldern (Tanne und Fichte sehr selten). Zwischen ihnen liegen in sumpffreiem Terrain magere Äcker, schlechte Wiesen und Weiden und an den Dünen menschliche Behausungen. Der spärliche Verkehr unter diesen wickelt sich auf ungepflegten Wegen, die an den sumpfigen Stellen manchmal flüchtige Prügel- oder Faschineneinbauten zeigen, ab.

Die menschlichen   S i e d l u n g e n   liegen, wie schon erwähnt, auf den leichten Höhenrücken der Sanddünen oder längs überhöhter Flußufer. Wir haben bei den festen Wohnplätzen der Landbevölkerung drei Siedlungstypen zu unterscheiden, und zwar: den Einzelhof, die Kolonie und das geschlossene Dorf.

E i n z e l h ö f e   finden sich viele. Sie sind dort anzutreffen, wo nicht genügend sumpffreies Land für die Anlage eines Dorfes und anschließend daran für Äcker und Weide vorhanden ist. Überall verstreut, trifft man sie, teils mitten im Walde, auf kleinen Waldblößen, teils mitten im Sumpf, auf einer kleinen Stelle trockenen Landes. Sie sind von fremden Kolonisten angelegt und bewirtschaftet, nie von Ukrainern bewohnt. An das Wohnhaus schließen sich Scheunen und Stallungen. Um den Hof ist meistens ein kleiner Garten, daran bescheidene Äcker und Weideplätze.

Die   K o l o n i e n   sind nichts anderes als kleine Gruppensiedlungen, in denen die Lage der Häuser ohne feste Norm, nur nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten geordnet ist. **

Die Bauart der Häuser ist eng angelehnt an die ukrainische; doch finden sich natürlich auch Varianten, besonders in der Inneneinrichtung und Gruppierung der Gebäude. Die Kolonien sind meist von Polen, Tschechen und Deutschen bewohnt. Höchst selten wird man unter ihnen Ukrainer finden, die Religion und Sprache von jenen trennt.

Der Anreiz der Einwanderung war stets ziemlich groß. Bebaubares Land liegt noch heute periodisch brach und eine gute Bodenwirtschaft bringt auch aus weniger fruchtbaren Landstrichen respektable Ergebnisse. Den Kolonisten sichert ihre bessere Bildung und größere Lebenserfahrung vor der einheimischen Bevölkerung manche Vorteile und mit ihnen eine sorgenfreiere Lebensführung.  

Die Ukrainer siedeln ausnahmslos in geschlossenen  D ö r f e r n.   Diese sind reine Straßendörfer. In der Mitte führt eine etwa 10 m breite Dorfstraße, ungepflegt, ohne Abzugsgräben und Rinnsale, im Sommer dicht mit Flugsand belegt, in der Regenzeit grundlos und für Fuhrwerke kaum passierbar. Rechts und links von ihr liegen die Wohnhäuser in größeren oder kleineren Entfernungen nebeneinander.

Für die Wahl des Platzes zur Anlage eines Dorfes sind drei Gesichtspunkte maßgebend. Erstens muß der Platz außerhalb des Überschwemmungs- oder Sumpfgebietes liegen, zweitens muß anschließend an das Dorf genügend Acker- und Weideland vorhanden sein und endlich soll das Dorf möglichst vor Wind geschützt liegen. Aus diesen drei Forderungen erklärt sich auch der Umstand, daß die Dörfer höchst selten an verkehrsgeographisch günstigen Stellen, sondern meist rings umgeben von Sümpfen, in waldfreiem Terrain angetroffen werden.

Dem natürlichen Windschutz wird dort, wo es angängig ist, durch Anlage des Dorfes an eine Düne oder nahe dem Walde Rechnung getragen. In diesem Falle findet man nur wenige Bäume zwischen den Häusern. Liegt das Dorf in der freien Ebene, so schützt man sich durch Anpflanzen von Bäumen vor der Wirkung der Sommer- und Winterstürme.

Die Bodenbeschaffenheit und die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglichen nur eine dünne Besiedlung. In den am dichtesten besiedelten Teilen des Landes sind die Dörfer etwa  5 km weit voneinander entfernt. Es gibt aber Ödland von hundert und mehr Quadratkilometer, in dem nur selten verstreute Einzelhöfe anzutreffen sind.

Die Zahl der Seelen in einem Dorfe schwankt zwischen 100 und 800. Das Fehlen einer Tiefengliederung in den Dorfanlagen und die weiten Abstände zwischen den einzelnen Wohnhäusern bedingen eine beträchtliche Längenausdehnung. Dörfer mit etwa 80 Wohnhäusern sind gewöhnlich fast 1 km lang. Es zählen aber solche von der gleichen Größe mit zwei oder mehr Kilometer Länge nicht zu den Seltenheiten. Manchmal geht mitten durch das Dorf eine Sumpfzone, die siedlungsleer ist und das Dorf in zwei Teile teilt.

Die Bewohner dieser geschlossenen Dörfer sind, wie schon erwähnt, ausnahmslos Ukrainer, abgesehen von einer oder zwei jüdischen Familien, die das spärliche Bedürfnis nach Warenaustausch befriedigen.

Neben den Dörfern wären noch größere   M a r k t f l e c k e n    und   K l e i n s t ä d t e   zu erwähnen, die zumeist an günstigen Verkehrspunkten liegen und fast ausschließlich von Juden bewohnt werden. Die Marktflecken liegen weit voneinander, ihr Einfluß berührt kaum den Kulturgrad und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Landbevölkerung. Noch weniger üben die   B e z i r k s s t ä d t e ,   wie etwa Luzk oder Kowel, in denen das Leben fast ausschließlich von Juden und den russischen Garnisonen beherrscht wird, irgendeinen tieferen kulturellen Einfluß aus.

II. Wohn- und Wirtschaftsanlagen

Die   V e r t e i l u n g   der Wohn- und Wirtschaftsanlagen in den einzelnen Dörfern ist verschieden. In den Orten, die mitten im bebaubaren Lande liegen, finden sich Scheunen und Ställe nächst den Wohnhäusern und umschließen mit diesen meist einen kleinen zentralgelegenen Hof; dort, wo das Dorf am Sumpf- oder Waldrand angelegt wurde, liegen längs der dem Sumpfe oder Walde zugekehrten Straßenseite die Wohnhäuser und Stallungen für Kleinvieh, auf der anderen, den Äckern zugekehrten Seite die Scheunen und Großviehstallungen.

Nach der Lage der Wohn- und Wirtschaftsgebäude richtet sich auch die Verteilung der  B r u n n e n   im Dorfe. Sie sind ausnahmslos Schachtbrunnen, etwa 1 m im Quadrat haltend, mit verzapften Holzbohlen ausgekleidet, oben mit einem niederen Brunnenkranz versehen. In mäßiger Entfernung von diesen findet sich ein Zaun. Die Tiefe der Brunnen wechselt mit der Höhenlage ihres Ortes, selten sind sie tiefer als 10 m, viele nur 2 – 3 m.

Die Brunnen sind Kommunalbesitz. Sie werden von mehreren benachbarten Hausbesitzern hergestellt und bleiben Eigentum ihrer Erbauer, denen allein das Recht zusteht, aus ihnen Wasser zu entnehmen.  Auf diese Weise ist das ganze Dorf in bestimmte Brunnenbezirke eingeteilt und es wird streng darauf gesehen, daß niemand aus einem fremden Bezirk Wasser holt.

Am Rande von Sümpfen finden sich auch einfache   W a s s e r g r u b e n.   Sie sind höchstens 1 m tief, flüchtig mit Brettern ausgezimmert. In ihnen sammelt sich das Oberflächensumpfwasser, das ebenfalls als Trink-, Tränk- und Nutzwasser verwendet wird.

Das   W o h n h a u s   oder, besser gesagt, die Wohnhütte ist ein kastenförmiger Bau von etwa 10 m Länge, 5 m Breite und bis zum Dache gut 2 m Höhe. Es ist aus gespaltenem Rundholz, dessen Enden verzapft sind, hergestellt; die Fugen mit Moos und Erde abgedichtet.

Die untersten Pfosten liegen auf starken, eingegrabenen Wurzelstockscheiben, die eine Senkung der Konstruktion verhindern.

Die niedrige Haustür befindet sich etwa in der Mitte einer Längsseite. Sie ist mit einem hölzernen Bolzenschloß, das mit einem einfachen Holzschlüssel geöffnet werden kann, zu verschließen. Durch sie tritt man in einen kleinen Vorraum, von welchem man links in die Wohnküche, geradeaus in eine kleine Vorratskammer und rechts in eine große Vorratskammer, die im Winter als Stall benützt wird, gelangt. Die Wände der Wohnküche sind sorgfältig gearbeitet, häufig nach Art der Scheunenwände hergestellt. Ein mäßig hoher Erdaufwurf rings um das Haus dichtet es nach außen ab. Als Fußboden dient gestampfter Lehm.

Das etwa 20 cm dichte Strohdach steht etwas über die Hauswände vor.  Die Büschel sind an den Dachsparren mit gedrehtem Stroh gefestigt. Den Firstabschluß bilden entweder flach ausgebreitete Büschel, mit gekreuzten und eingebundenen Hölzern befestigt, oder stehende, unten geteilt und am Firstbaum eingeflochten. Den Zusammenstoß von Quer- und Längsflächen überdecken fächerförmig ausgebreitete, übereinander liegende Büschel.

Das Um und Auf des Hauses ist die   W o h n k ü c h e;   in ihr spielt sich das ganze Leben der Familie ab. Der Raum hält rund 5 m im Geviert und ist gut 2 m hoch. Durch drei kleine Fenster wird er erhellt. Wände und Decke sind mit Kreidemergel weiß getüncht. Links neben dem Eingang hängt ein kleiner Schrank, der Koch- und Speisegeräte beherbergt. An der Wand läuft vom ersten bis zum dritten Fenster eine breite Sitzbank. Auf dieser steht in der Ecke das wichtige Sauerteigfaß aus Holz; vor diesem ein kleiner Tisch, in der Ecke über ihm zahlreiche Heiligenbilder, moderne gekaufte Ware. Vom dritten Fenster bis zum Ofen finden sich die Schlafstellen, breite Bänke, darauf Stroh und wollenes Zeug; unter den Schlafstellen der Handvorrat der Familie an Kartoffeln. Das Viertel der Wohnküche, rechts von der Tür, füllt der mächtige Backofen, der Hauptbestandteil des ganzen Raumes. Vom Mitteltram der Decke hängt die Wiege. Damit ist das ärmliche Inventar der kleinen Wohnküche erschöpft. Alles ist möglichst gedrängt, der Ofen mächtig.

Der im vorstehenden geschilderte Typus des Wohnhauses mit seiner Bauart und Inneneinrichtung ist bei den Ukrainern der ausnahmslos herrschende. Die Häuser werden von den Bewohnern selbst erbaut; eigentliche Handwerker gibt es nirgends. Der Überfluß an Holz und die Beistellung des anderen Materials aus der eigenen Wirtschaft - Nägel, Türklinken usw. finden keine Verwendung - machen das Bauen sehr billig.

Um das Haus ist gewöhnlich ein kleiner Garten angelegt, in welchem Blumen, Mohn und Gemüse angebaut werden. Aus der verblüffenden Gleichheit aller Häuser untereinander und aus ihrem geringen Alter – zumeist gehen die Häuser durch Feuersbrünste zugrunde – kann man ermessen, wie wenig fremder Einfluß und eigene Weiterentwicklung seit langer Zeit auf die Bauart der Häuser wirksam war.

Bei den reicheren Familien bauen sich die Eltern, sobald sie die Wirtschaft den Söhnen übergeben, manchmal ein kleines   A u s t r a g h a u s,   das entweder an das Wohnhaus angebaut ist oder freisteht. Es besteht aus einem kleinen abgebohlten Vorraum und aus der Wohnküche, die aber nur 3 m im Geviert hält, ansonsten analog den anderen Wohnküchen eingerichtet ist.

Von   S t a l l u n g e n    im eigentlichen Sinne des Wortes kann man nicht sprechen. Man findet manchmal kleine niedrige Hütten für Schweine. Pferde und Kühe sind im Sommer tagsüber im Freien und auf der Weide, in der Nacht in einer Scheune und im Winter stehen sie meist in der zu einem Stall umgewandelten Vorratskammer des Wohnhauses.

Die   S c h e u n e n   von wechselnder Größe, bis zu 20 m lang und 10 m breit, bestehen aus eingegrabenen, ungefähr je 3 m voneinander aufgestellten, 2 ½  m  hohen Holzsäulen, die in der Wandrichtung beiderseits eine durchlaufende Kerbe besitzen, in welchen die entrindeten Rundhölzer mit ihren abgeschrägten Enden liegen. Eine völlig analoge Strohdachkonstruktion, wie bei den Wohnhäusern, schützt vor Wettereinflüssen. In der Mitte einer Längsseite ist das etwa 2 ½ m breite, bis zum Dach reichende Scheunentor mit einem hölzernen Bolzenschloß zu verschließen. Die Torsäule ruht selten in Eisenangeln, meist dreht sie sich in einem hölzernen Hakenpflock. Als unteres Widerlager wird häufig ein alter, unbrauchbar gewordener Mahlstein von einer Handmühle verwendet. In manchen Scheunen findet sich eine Tenne aus einem festgestampften Gemisch von Sand, Kreidemergel und Rinderblut. Die Fugen und Ritzen der Scheunenwände sind unverstopft, das Ganze ist salopp gebaut und sehr luftig. Hat ein Bauer mehr Vieh, als er im Winter in seinem Wohnhaus unterbringen kann, so adaptiert er eine kleine Scheune zu einer mäßig  warmen Stallung.

Als Wirtschaftsgebäude wären schließlich noch die sich manchmal findenden   K e l l e r,   mit einem Strohdach überdeckt, zur Aufbewahrung von Kraut, Kartoffeln usw. zu erwähnen.

Weithin sichtbar sind die vielen   W i n d m ü h l e n,   die auf den Rücken der Dünen stehen. Ihre Form und ihre Kenntnis ist aber entlehnt. die autochthone Mahlvorrichtung der Ukrainer ist die Handmühle, die sich jetzt nur mehr vereinzelt findet und bald ganz von den Windmühlen verdrängt sein wird.

Neben den permanenten Wohnungen trifft man, meist im Walde, nicht selten periodische Unterkünfte der Landbevölkerung, einfache   R a u c h h ü t t e n, an. Sie werden errichtet, wenn Arbeit im Walde weit vom Heimatdorfe zu verrichten ist, so daß sich das tägliche Nachhausegehen nicht lohnt. Ich traf eine solche Kolonie für etwa  100 Seelen im Walde an. die Hütten waren etwas solider, wie einfache Sommerhütten, gebaut, da sie unter den vorliegenden Verhältnissen auch im Winter bewohnt werden mußten. Die ganze Siedlung war in kaum einer Woche fertig. (…)   

 

III. Haus- und Wirtschaftsgeräte

Kehren wir zu den ukrainischen Wohnhäusern zurück und sehen wir uns ihre Inneneinrichtung an. Der Hauptbestandteil der Wohnküche ist der   O f e n.    Er ist zugleich Heiz- und Backofen. Auf einer Bretter- und Pfostenkonstruktion von etwa 60 cm Höhe wird eine 30 cm starke Schicht aus Lehm, Sand, Kreidemergel usw. festgestampft, darauf Ziegel aufgelegt, das halbzylindrische Backrohr aus Ziegel gemauert, darüber wieder Schutt und Lehm bis zur entsprechenden Höhe gestampft und über den Ofenspiegel ein Rauchhelm und daran der Kamin aufgesetzt. Im Unterbau befindet sich gewöhnlich eine tiefe Nische für Holz, knapp darüber eine solche für Kochgefäße. An der Seite ragen zwei Pfosten, die Träger der Ofenbank, hervor. Der eigentliche Ofen besteht aus dem Backrohre, der Glutnische, dem Ofenspiegel, dem Rauchhelm und dem Kamin. Zum Heizen und Kochen wird auf dem Ofenspiegel kleingemachtes Holz entzündet, dieses dann in den vorderen Teil des Backrohres geschoben und nur so viel Holz nachgelegt, daß die Flamme wenig aus dem Rohre herausschlägt. Daran stellt man die Kochtöpfe. Soll gebacken werden, so heizt man den Ofen, wie beschrieben, an, verteilt die Glut gleichmäßig am Boden des Backrohres, läßt es genügend durchwärmen, reinigt von Glut und Asche, die in der Glutnische verwahrt wurde, schießt die Laibe ein und schließt das Backrohr mit einer Holzplatte ab. Durch die Ofenklappe im Kamin kann man das ganze System sperren.

Der vom Kamin sich gegen die Wände ziehende horizontale Ofenabschluß wird als Schlafstelle benützt. Zu ihm führen Trittnischen.

Der Ofen, einmal gut angeheizt, hält lange die Wärme. Das richtige Heizen bedarf aber einer gewissen Erfahrung, da Rauchhelm und Kamin oft nur mit Lehm verschmierte Bretter bilden. Der beschriebene Ofentypus ist überall herrschend. Manchmal findet man an den Backofen einen kleinen Heizofen angeschlossen, dessen Form und Anlage aber nicht altertümlich und bodenständig ist. (…)

Die   O f e n g e r ä t e   sind einfach und spärlich. Ein   B e s e n   aus Birkenreisig zum reinigen des Backrohres und des Ofenspiegels, eine   H o l z s t a n g e  mit einer kleinen Querplatte zum Zurückschieben des Feuers und zum gleichmäßigen Verteilen der Glut, eine halbkreisförmige    E i s e n g a b e l   zum Herausheben der Töpfe aus dem Feuer und eine   B a c k s c h a u f e l    zum Einschießen der Brotlaibe erschöpfen die bekannten Formen.

Die   H a u s g e r ä t e   sind fast ausnahmslos aus Holz und werden selbst erzeugt. Irdene Töpfe und eiserne Werkzeuge werden gekauft.  Als   E ß b e s t e c k e   dienen selbstgeschnitzte Holzlöffel, die manchmal einfach verziert und mit Kerben oder anderen Eigentumsmarken versehen ist, ferner kleine Taschen- oder Küchenmesser, die ebenso wie die sich sehr selten findenden Gabeln gekauft sind.

Aus einem Stück Holz gearbeitet sind Tröge, kleine Kübel und Schaufeln. Die   T r ö g e,   in welchen der Brotteig geknetet und die Wäsche gewaschen wird, sind länglich und seicht, an beiden Schmalseiten mit einem mit einem etwa 5 cm breiten, dünnen Vorsprung versehen, auf welchem der Trog zwischen zwei Bänken, Pfosten oder anderen bei seiner Benützung ruht. Größer und tiefer sind die   F u t t e r-  und   T r ä n k t r ö g e,  die in Ställen oder Scheunen mit ihren beiden seitlichen Vorsprüngen auf Pfosten eingebaut werden. Die   H a n d s c h a u f e l n   zum Hersausfassen des Mehles, der Körnerfrüchte usw. haben einen seicht gehöhlten Schaufkörper, der unten auf einer Standfläche ruht und oben ein Langrund bildet, das auf der einen Seite in eine leichte Spitze, auf der anderen in einen bis 20 cm langen Stiel ausläuft, der am Ende meist einen kleinen Vorsprung hat, damit die Schaufel besser in der Hand sitzt. Die kleinen   K ü b e l  ähneln in Form und Verwendung ganz den aus Dauben hergestellten.

Die besprochenen Geräte sind aus dem Kernholz von Laubbäumen (Birke oder Buche), sehr selten aus Föhrenholz gearbeitet. Die Höhlungen werden ausgebrannt, dann mit der Axt roh weiter gearbeitet und endlich mit dem Messer fein zugerichtet. Die Außenseiten werden zugeschnitzt und scheuern sich durch den Gebrauch glatt.

Die größeren Behälter sind aus   D a u b e n   zusammengesetzt. Das   S a u e r t e i g f a ß   ist von kegelstumpfförmiger Gestalt, 20 – 30 cm hoch, unten etwa 30 cm, ob en 20 cm im Durchmesser haltend. Darauf komm ein gut schließender Deckel mit breitem Rand aus dünnem Holz. In diesem Behälter wird der Sauerteig verwahrt und der Brotteig gehen gelassen. Die   K ü b e l   zum Wassertragen, Waschen usw. haben entweder einen Handgriff oder werden von einem Henkel aus Weidenzweigen überspannt. Als verschiedenartig verwendete Aufbewahrungsgefäße dienen   k ü b e l f ö r m i g e    S c h a f f e,   schmal und hoch, nach oben konisch zulaufend, mit zwei Handhaben. Endlich seien noch die großen   F ä s s e r,   viele über 1 ½ m hoch und 1 m im Durchmesser haltend, erwähnt, die, sehr fest und stabil konstruiert, zur Aufbewahrung von Körnerfrüchten, Kraut und anderen Lebensmittelvorräten dienen. In ihnen werden den Sommer über auch die Pelze, das warme Wollzeug, Garne, Werge und anderes mehr verwahrt. Die Dauben sind aus sorgfältig ausgetrocknetem Laubholz gearbeitet, gut aneinandergepaßt und werden von Reifen aus gespaltenen Birkenzweigen fest zusammengehalten.

An   g e f l o c h t e n e n    B e h ä l t e r n   stehen hauptsächlich  Taschen, Körbe und faßartige Gefäße in Verwendung. Die  T a s c h e n  verschiedener Größe, bis 20 cm lang, sind aus Rindenbast, nach einer ähnlichen Art, wie die später zu besprechenden Rindenschuhe geflochten. Über den unteren, kleineren Teil greift schachteldeckelförmig ein größerer, der ebenso wie der untere in den beiden Tragschnüren läuft. Die Taschen werden über die Schulter getragen und dienen zur Mitnahme von  Proviant und kleinen Habseligkeiten.  Eine äußerst vielseitige Verwendung finden die rechteckigen Tragkörbe, aus dünnem gespaltenen Holz geflochten. Sie sind etwa 40 cm breit und 30 cm hoch. An zwei schräg gegenüberliegenden Ecken ist die Tragschnur befestigt, mit der sie, ähnlich den Taschen, getragen werden.

Nicht selten findet man große, faßartige,   a u s   S t r o h   g e f l o c h e n e   Gefäße zur Aufbewahrung von Kornfrucht und Mehl. Diese haben gegenüber den Daubenfässern den Vorteil, daß der Inhalt besser durchlüftet wird und weniger leicht schimmelt. Die Strohbehälter sind bis über 1 m hoch, bis ½ m im Durchmesser haltend und sehr massiv geflochten. Sie bestehen aus dicken Strohkränzen, die spiralig verlaufen und von dünnen, gespaltenen Weidenzweigen um- und übergriffen werden. Auf diese Art lassen sich große, fest und leichte Behälter mühelos herstellen.

Zur Vermahlung des Getreides ist dort, wo noch keine Windmühlen sind, in jedem Haus im Vorraum eine primitive     H a n d m ü h l e   anzutreffen. Die eigentliche Mahlvorrichtung befindet sich auf einem soliden, etwa bis zur Schoßhöhe reichenden Holzgestell, dessen einer Pfosten bis Manneshöhe verlängert ist und oben eine Querstange trägt, in welcher die Treibstange läuft. Der untere Mahlstein ist auf dem Boden des Holzrahmens unbeweglich befestigt und in der Mitte durchlocht, wo die Steilstange durchläuft. der obere Mahlstein zeigt in der Mitte das Fülloch und von diesem zu beiden Seiten eine schmale Kerbe, in welcher das Holzwiderlager liegt. Am Rande hat er eine umlaufende Nut und eine Reihe halbkreisförmiger Löcher eingesprengt, die ein dünnes Holzband nach außen abschließt und in denen der Angriffspunkt der Treibstange liegt. Die zur Peripherie schräg verlaufenden Mahlflächen bewirken das Abrutschen des Mehles in den Holzrahmen, von wo es durch die Füllschnauze abgelassen wird. Um verschiedene Feinheitsgrade in der Vermahlung erzielen zu können, ist eine Stellvorrichtung eingebaut. (…)  Das Mehl wird gesiebt und so von Spelzen und Kleien gereinigt. Die   S i e b e   von wechselnder Größe haben einen Rahmen aus dünnem Holz; das Sieb selbst ist aus dünnem, geschnittenem Birkenbast geflochten.

In jedem Hause findet sich ein   H o l z m ö r s e r    zum Entschälen der Hirse- und Buchweizenkörner, die im gekocht-gequollenen Zustand eine Lieblingsspeise der Bevölkerung bilden.  Der   M ö r s e r   ist aus einem dicken Baumstrunk gearbeitet, etwa 1 m hoch, die Innenhöhlung  40 cm tief. Hierein gibt man die harten, runden Körner, die mit dem Holzstößel nicht zerstoßen, sondern nur entschält werden.

In manchen Häusern finden sich noch sehr altertümliche   Ö l p r e s s e n.   In der Mitte eines starken, rechteckigen Rahmens ist im unteren Längsholz ein kurzer, im oberen ein längerer Schlitz ausgearbeitet, in welchem zwei Preßhölzer von schaufelartiger Form laufen. Die unteren Zapfen sitzen ziemlich streng im unteren Schlitz, während im oberen die Preßhölzer scherenförmig geöffnet werden können. Zwischen die Hölzer gibt man einen starken Leinensack mit weichgekochtem, zerstampftem und mit Wasser zu einem breiigen Teig gekneteten leinsamen, schließt sie sodann durch Eintreiben von Keilen und preßt so Wasser und Öl aus. In einer Schüssel wird der Preßsaft gefangen, wo sich das Öl vom Wasser trennt.  Das Öl wird verkocht, der Preßkuchen dem Vieh verfüttert.

Die irdenen   G e f ä ß e   sind aus rohem Ton auf der Drehscheibe gearbeitet und klingend gebrannt. Sie werden nicht von der Landbevölkerung erzeugt, die der Töpferei unkundig ist – wohl hauptsächlich deshalb, da sich nirgends Töpferton findet –, sondern gekauft. Die irdenen Gefäße spielen im Vergleiche mit denen aus Holz  - die unzerbrechlich und billiger sind – nur eine untergeordnete Rolle. Sie finden im allgemeinen nur beim Kochen und bei der Aufbewahrung heißer Flüssigkeiten Verwendung.  Die hauptsächlichsten Formen sind: konische Schüsseln, aus denen gegessen wird, bauchige Becher zum Aufbewahren von Milch, bauchige Urnen mit und ohne Henkel zum Kochen und dickwandige Krüge zur Mitnahme von Trinkwasser aufs Feld.

Die im Gebrauche stehenden   E i s e n w e r k z e u g e   wie Messer, Hacke, Säge, Schaufel, Sense, Sichel und Pflugschar, sind durchwegs eingeführt und zeigen naturgemäß weder altertümliche noch bodenständige Merkmale.  Erinnerungen an die metallose Zeit rufen noch die in ausgiebiger Weise verwendeten Holzkeile zum Spalten von Rundholz und hölzerne Schaufeln zur Bodenbearbeitung, die aber jetzt meist auch schon einen eisenbeschlagenen Rand haben. Nicht unerwähnt sollen etwa 10 cm lange Spateln aus hartem Holz bleiben, deren Breitseiten von queren, seichten Rinnen durchzogen sind und die, in ein Gemenge von Wasser und Sand getaucht, beim Schärfen der Eisenwerkzeuge, insbesondere Sense und Sichel, den Wetzstein ersetzen. 

IV. Häusliche Arbeiten

Unter diesen hat    B a c k e n   und   K o c h e n    die führende Rolle. Das gewöhnliche Schwarzbrot, neben der Kartoffel das Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung, wird nach bekannter Art in Laiben gebacken.  Für Sonn- und Feiertage bereitet man aus hellem Mehle kleine Laibchen, die mit Bohnen, Kartoffeln, getrockneten Äpfeln oder Birnen gefüllt werden. Aus reinem Weizenmehl wird Brot nur für die höchsten Feiertage (Weihnachten, Ostern) bereitet. Die Kochweise ist im allgemeinen weder spezifisch noch altertümlich, sie ist sehr einfach und größtenteils unrein. es herrscht die pflanzliche Nahrung weitaus vor. Neben Brot und Kartoffeln sind Buchweizen, Hirse, Kraut und Leguminosenfrüchte, im Sommer Waldbeeren, besonders beliebt. Zur Brutzeit werden Eier von Waldvögeln in ausgedehntem Maße gesammelt. Als Gewürz ist bloß Salz und Mohn bekannt, Kürbiskerne werden gern gekaut. Fleisch, und zwar Schweinefleisch, wird nur an den höchsten Feiertagen gegessen. Eier und Milch finden im Haushalte reichliche Verwendung.

Die wichtigste Frauenarbeit ist die    K i n d e r w a r t u n g.   Sie beschäftigt vorwiegend die Mutter, in ihrer Abwesenheit wird sie von größeren Mädchen besorgt. Das Kind wird sehr lange gestillt und dann, ohne besonderen Übergang, auf die usuelle Hausmannskost gesetzt. In jedem Hause befindet sich eine   W i e g e.   Der Korb ist entweder aus Weidenzweigen geflochten oder aus Holzleisten gezimmert, etwas 1 m lang und 50 cm breit und hängt an vier Schnüren, die oben in einem Holzhaken zusammenlaufen. Der Korbboden ist mit Stroh, Moos oder Heu bedeckt. Darauf liegt ein Stück Wollzeug und auf diesem das Kind. Den Kopfteil überspannt ein zeltartig angeordnetes Tuch, das der besseren Wärmehaltung dient und vor Zugluft, Fliegend und überraschenden Lichteinwirkungen schützt. An dem Unterrande des Korbes ist eine größere Bandschlinge befestigt, die mit dem Fuß angezhogen und wieder losgelassen wird, wodurch die Wiege eine schaukelnde Bewegung erhält. Im Sommer, wenn die Frauen auf dem Acker arbeiten, wird der Säugling mit hinaus genommen. Aus drei Stangen und einer Decke erbaut man ein pyramidenartiges Zelt und in dieses hängt man die Wiege. Den Korb ersetzt hier ein mit Zeug überspannter, rechteckiger Rahmen.

S p i n n e n   und   W e b e n   beschäftigt im Herbst und Winter die weiblichen Arbeitskräfte. Versponnen werden Flachs und Hanf. Die Pflanze wird mit der Sichel geschnitten und dann gerauft. In Losen Bündeln oder flach aufgelegt werden die Stengel an der Sonne getrocknet. Nun unterzieht man sie der "Wasserröste", d.h. sie werden 14 Tage bis 3 Wochen in Wasser gelegt und dann in gelinder Wärme in der Sonne oder auf dem Backofen getrocknet. Bei dem so vorpräparierten Material lassen sich Faser und Rinde leicht trennen.  Als   B r e c h v o r r i c h t u n g   dient ein etwa 1 m hoher Bock, auf welchem oben, zwischen zwei knapp nebeneinander liegenden Brettern ein stumpfes Holzmesser spielt. Ein flach ausgebreitetes Bündel Stengel legt man auf diese Bretter, schlägt mit dem Messer darauf und zieht zu gleicher Zeit das Bündel etwas zurück. Dadurch werden die spröden Rindenbestandteile gebrochen und beseitigt. Nach mehrmaliger Wiederholung dieser Prozedur bleiben nur die weichen, zähen Fasern übrig. Diese werden nun   g e h e c h e l t. Auf einem etwa 30 cm langen und 20 cm breiten Kamm, der auf dem Sitzbrette befestigt ist, wird eine Strähne der Fasern flach ausgebreitet und mit einem etwa 15 cm langen Handkamme, der auch zum Haarkämmen verwendet wird, so lange gehechelt, bis alle Rindenteile entfernt und nur die längeren Fasern übrig geblieben sind. Zum Reinigen der Kämme wird ein Pinsel aus Schweinsborsten verwendet. Schöne, große Kämme, durchweg aus Lärchenholz gefertigt, sind schwer zu bekommen, weil so große, astfreie Holzstücke selten angetroffen werden. (…)  Für Zugstränge, Seile, Gurten, Schuhschnüre usw. werden besonders starke Fäden, eine Art Spagat, oft aus Roß- oder Kuhschweifhaaren hergestellt. Diese Arbeit obliegt den Männern, die mit einer   G a b e l s p i n d e l   den Faden erzeugen. (…)

Das Verweben der Fäden geschieht auf dem   W e b s t u h l.   Derselbe ist bereits ein ziemlich kompliziertes Gerät und besteht aus einer Reihe von Elementen. Das Ganze ist in ein kastenförmiges Gestell eingebaut, welches fast kubisch ist, 1,60 m hoch, 1,50 m lang und breit. In den beiden Vorderstangen ruht der Garnbaum, der mit dem Rade gedreht werden kann. Seine Zähne greifen in den Sperrhebel, der sich infolge seines tiefliegenden Schwerpunktes selbständig schließt und mit der Schnur vom Websitz aus geöffnet werden kann.  In den Brettern der beiden Längsseiten liegt der Tuchbaum, der durch ein Rad, in welches Stellspeichen eingebaut sind, ebenfalls gestellt werden kann. Der Radkranz ist gezähnt und kann mit dem Hebel gesperrt werden. (…)

Weben ist hauptsächlich Sache der Frau, doch beschäftigen sich gegebenenfalls auch Männer mit dieser Arbeit.  Das Produkt ist eine gröbere oder feinere Leinwand, sehr haltbar und fest. Sie wird nach dem bekannten Verfahren der Rasenbleich gebleicht. Aus der Leinwand wird die Sommerkleidung, Wäsche, Decken u.a.m. hergestellt.

G e w a s c h e n   wird in der Art, daß das schmutzige Gewebe, in einem Troge mit Holzasche bestreut, mit heißem Wasser übergossen und dann kräftig gerieben wird. Die Verwendung von Seife ist unbekannt. Hierauf wird die Wäsche ausgewunden, zum Sumpfe getragen und dort in einer ausgehobenen großen Grube, in der sich das Sumpfwasser sammelt, geschwemmt, gerieben und gegen die Unterschenkel geschlagen. Nachdem man sie getrocknet hat, wird sie gemangelt. Zu diesem Zwecke rollt man sie noch im halbfeuchten Zustand über eine mäßig dicke Holzstange und walkt mit einem auf der Unterseite stumpf gezähnten Mangelbrett.

 

V. Kleidung

Die   K l e i d u n g,   die mit Ausnahme der opankenförmigen Rindenschuhe nichts mehr absonderlich Altertümliches oder Ursprüngliches zeigt, läßt sich in eine Sommer-, Übergangs- und Winterkleidung teilen.  Die   S o m m e r k l e i d u n g   besteht aus einem leinenen oder hänfernen Hemd, das bei der Frau am Kragen und den oberen Ärmeln, beim Manne am Brustlatz und den oberen Ärmeln mit selbsterzeugten Stickereien, manchmal recht hübsch, verziert ist. Der Weiberrock, über welchen eine selbstgewebte, buntfarbige Schürze getragen wird, und eine Männerhose sind aus demselben Stoffe wie die Hemden. Die Kopfbedeckung bildet bei der Frau ein leichtes, gekauftes Tuch, beim Manne fast ausnahmslos die großrussische Tellermütze mit Lederschirm. die Füße sind unbekleidet.  Für die   Ü b e r g a n g s k l e i d u n g   wird der Weiberrock und die Männerhose aus braungrauem Schafwollstoff gefertigt. Über das Hemd trägt die Frau eine kurze Bluse, der Mann einen langen, hochgeschlitzten Rock, ebenfalls aus Schafwollstoff.  Im   W i n t e r trägt man lange, bis zum halben Waden reichende, aus Schaftfellen gefertigte Pelze, mit der Lederseite nach außen. An Stelle des leichten Kopftuches tritt ein starkes, statt der russischen Kappe werden Pelzmützen getragen. Fuß und Unterschenkel sind in Leinenfetzen gewickelt und diese mit den Schnüren des Rindenschuhes gamaschenförmig verschnürt.

Die Haare werden von den Mädchen als Zopf oder Nest, bei verheirateten Frauen am Hinterkopfe über einen Stroh- oder Hanfreifen geflochten getragen. Das Kopfhaar der Männer reicht bis über die halben Ohren, Schnurrbart kräftig, Backen und Kinn meist rasiert.

Als ältestes bodenständiges Überbleibsel in der Kleidung sind die   R i n d e n s c h u h e   zu betrachten. Im Frühjahre, sobald die Bäume im vollen Safte stehen, wird von Birken die Rinde samt dem Bast abgeschält und in etwa 4 cm breite Streifen geschnitten. Diese werden getrocknet, dann in Wasser gelegt und wieder getrocknet. Sommerüber bleiben diese Streifen liegen und im Winter flicht man aus ihnen die Schuhe. Eine Anzahl von Längsstreifen, ebenso viele, als die Breite des Schuhes erfordert, werden mit Querstreifen unterschossen und so ein carréartiges Muster erzeugt. Die Querstreifen werden an den Längsrändern des Schuhes umgeschlagen, lassen dort eine kleine Schleife und werden dann weiterverflochten.  Durch diese Schleifen zieht man die Schnüre, die den Schuh an den Fuß festdrücken und dann um den Unterschenkel gewickelt werden. Die Rindenschuhe und das umwickelte Wollzeug gibt nur bei trockenem Wetter einen guten Schutz. Ihre Lebensdauer ist etwa 3 – 4 Wochen; dann sind sie zerrissen und unbrauchbar.

VI. Ackerbau, Viehzucht und Handel

Was nun die fast ausschließliche Erwerbsquelle der Bevölkerung, den Ackerbau und die Viehzucht, anbelangt, so stehen beide auf einer sehr tiefen Stufe. Die Bearbeitung des Bodens ist althergebracht, umständlich und langwierig. Düngen der Felder ist unbekannt. Einen Hauptanteil an der schlechten Bodenbewirtschaftung haben die ungesunden Besitzverhältnisse, die keinen Individual-, sondern nur Gemeindegrundbesitz kennen. Vom Dorfältesten wird alle drei Jahre das Land unter den Gemeindeangehörigen neu aufgeteilt; dies bringt es mit sich, daß niemand Interesse an der Meliorisierung seines ihm zugewiesenen Ackerlandes hat, da er es in der nächsten Periode wieder einem anderen abtreten muß. Es wird im großen und ganzen nur so viel gebaut, als für die Familien notwendig ist, oft liegen jahrelang weite Grundstrecken brach. Am meisten wird Weizen gebaut, dann kommt Hafer, der ausgiebig als Brotfrucht verwendet wird, dann Roggen, viel Buchweizen und Hirse. Groß ist auch die Kartoffelernte. Flachs und Hanf ist weitverbreitet.

In den Dörfern verstreut finden sich Wildobstbäume, in den kleinen Gärten vorwiegend Tabak, Leguminosen und Mohn. von der Tabakstaude werden die Blätter, wenn die Pflanze verblüht hat, abgeschnitten, getrocknet und, ohne irgendwie weiter präpariert zu werden, in hölzernen Pfeifen geraucht.

Ziemlich ausgedehnt ist die Bienenzucht. Die Bienenstöcke befinden sich in den Gärten bei den Häusern und sind alte Baumstämme, innen ausgehöhlt, mit einem schlitzartigen Flugloche versehen. Gegen Wetter und Nässe schützt sie ein kegelförmig aufgesetztes Strohdach.

Von einer Viehzucht im höheren Sinne des Wortes kann überhaupt nicht gesprochen werden. Systematische Züchtungen oder Maßnahmen zur Hebung der Rasse sind unbekannt. Die Pferde sind kleinwüchsig, kaum an Stallungen gewohnt, mehr sich selbst überlassen, als von Menschenhand betreut; ebenso das Rindvieh. Mit mehr Sorgfalt und Mühe wird die Schweinezucht betrieben. Sie ist die wichtigste Einnahmsquelle der Bevölkerung. Eine untergeordnete Rolle spielt die Schafzucht sowie die Federviehzucht.

Der Fisch- und Krebsfang wird in den Seen und Flüssen zuweilen von den Dorfbewohnern mit äußerst primitiven Körben aus Weidengeflecht betrieben.

Den dürftigen Handel beherrscht vollends der jüdische Händler, von dem zumeist im Tauschwege Branntwein, Salz, Petroleum, Zündhölzer, Eisenwerkzeuge, Töpfe usw. gegen Schweinefleisch, butter, Eier und Getreide eingehandelt wird. Die Verschuldung der meisten Bauern infolge übermäßigen Konsums von Branntwein bringt es mit sich, daß sie alle abhängig sind und stark ausgenützt werden. Neben dem tiefen Bildungsgrad und den ungesunden Bodenbesitzverhältnissen ist diese Verschuldung ist mit ein Hauptgrund für die trostlose materielle Lage der Ukrainer in dem wolhynischen Poljesie.  

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* Text gemeinfrei gem. § 64 UrhG; die im Original enthaltenen Fotografien und Zeichnungen können aus urheberechtlichen Gründen hier nicht dargestellt werden.


Illustrationen (urheberrechtsfrei):

Ivan Šiškin (1832 – 1898):  "Polesische Sumpflandschaft",   "Getreidehocken im Polessje", "Windmühle im Feld", "Armliche Hütte" "Birkenwald", "Dörflicher Hof"

Vincent van Gogh (1853 – 1890):   "Weber am Webstuhl"

 

** zur Siedlungsgeographie vgl. Walther Maas "Probleme der Sozialgeographie", Berlin 1961, mit weiteren Verweisen Seite 34:

" In Wolhynien gibt es andere Siedlungstypen. Im äußersten Süden Haufendörfer, weiter nördlich regelmäßige Straßendörfer, noch weiter nördlich unregelmäßige Formen. Hier eine Beschreibung von zwei Dörfern. Mehr im Norden liegt Gródek: "Ein sehr interessantes Dorf. eine Einzelheit drängt sich vor allem ins Auge: alle  'Kłunie' (Art Scheunen) sind aus dem Gebiete der eigentlichen Wohnhäuser verbannt und entlang der Straße aufgereiht. Diese Kłunie sind oval, aus Reisig geflochten, und manchmal innen mehr oder weniger sorgfältig mit Lehmbewurf beklebt, in einigen ist das Geflecht völlig 'à jour'. Im Inneren verdienen Beachtung die Scheidewände für das Getreide, die ebenfalls geflochten und mit Lössbewurf beklebt sind, sowie die 'Fässer' für Körner, die aus Strohseilen gemacht sind und untereinander mit Flechtwerk verbunden. Die Scheunentüren sind innen mit einer 'Gardine' geschmückt, nämlich mit Fransen aus Stroh. Die Wohnhütten sind aus Rundholz oder Halbrundholz gebaut und meist getüncht oder geweißt, um das Haus herum läuft eine Tonbank aus gestampftem Ton. Das ganze Dorf sieht sehr sauber und heiter aus."(Zawichostowicz: "Ziemia", 1928 S. 9)

Weiter südlich finden wir das Dorf Stub ła: "Es unterscheidet sich von Gródek. Es ist ein Straßendorf reinster Form, wobei die Gehöfte sowohl Wohnhütten wie Wirtschaftsgebäude umfassen. An einigen Stellen finden wir die Gebäude im Viereck gebaut mit einem Tor an der Straße. Eine Eigenheit der Bauten sind hier die aus Weiden geflochtenen und mit Lehmbewurf beklebten Schornsteine, einige von ihnen sind mit kleinen Dächern versehen. Die Scheunen sind, wie fast überall in Wolhynien, geflochten, es fällt hier jedoch auf, daß sie von mehr kreisförmigem Umriß sind. Fast jedes Haus besitzt eine Weberwerkstatt. Die Webereierzeugnisse, sowohl die wollenen Kelime, die als Bettdecken dienen, wie auch die leinenen 'nastilnikie" (Tischtücher), Handtücher und Schürzen, sind sehr farbenfreudig. (Zaborski: Über Dorfformen in Polen und ihre Verbreitung, Breslau 1930 - original polnisch, Krakau 1926)"

 

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letzte Änderung: 30.9.2018