Auszüge aus:

GLOBUS – Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde

Begründet von Karl Andree

Ausgabe  1876, Seite 189 – 190*

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„Evangelische Colonien in Galizien“

A.C.W.  Wenn es richtig ist, daß noch manche österreichische Länder auf einer niedrigen Culturstufe sich befinden, so ist diese Behauptung jedenfalls bezüglich   G a l i z i e n s, im sogenannten cisleithanischen Staatsgebiete Österreichs der größten Provinz, zutreffend. Sie umfaßt nämlich einen Flächenraum von 1425,58 Quadratmeilen mit 5.444.689 Einwohnern. Die polnische Bevölkerung besitzt in compacter Masse nur den westlichen Theil des Landes bis etwa zum Sanflusse, während sich jenseits desselben, in der Mitte sowie im ganzen östlichen Theile, der  r u t h e n i s c h e  oder richtiger   k l e i n r u s s i s c h e   Volksstamm ausbreitet, der in Sprache, Religion und Sitten von den Polen wesentlich verschieden ist.

Während das polnische Schriftthum des lateinischen Alphabets sich bedient, schreiben und drucken die Ruthenen mit   r u s s i s c h e n   Schriftzeichen, wie denn überhaupt der Unterschied zwischen der ruthenischen und großrussischen Sprache kaum so groß ist, als der zwischen dem allemannischen Schweizerdialekt und dem norddeutschen Hochdeutsch. Ueberdies bekennen sich die Ruthenen, im Gegensatze zu den römisch-katholischen Polen, ausschließlich zur griechisch-unierten Kirche, deren Abzweigung von der griechisch-orthodoxen auch nur durch die frühere polnische Politik, zumal durch die Thätigkeit des Jesuitenordens herbeigeführt wurde.

Der östliche von den Ruthenen bewohnte Theil Galiziens gehörte auch historisch Jahrhunderte lang zu Rußland und hatte sich wiederholt polnischer und ungarischer Einfälle zu erwehren, wodurch Polen und Ungarn jenes in handelspolitischer Beziehung wichtige Grenzland erobern wollten. Nach vielfach blutigen Kämpfen mit den kleinrussischen Fürsten wurde 1349 die vollständige Unterwerfung Ostgaliziens unter die polnische Krone vollzogen. Zur Zeit der polnischen Herrschaft war auch die gegenwärtige Landesbenennung – Galizien – unbekannt. Es hieß vielmehr Rothrußland (Czerwona Rosia), was etwa auch Schönrußland bedeutet, weil im polnischen, zumal aber im russischen Sprachgebrauche der Ausdruck   „r o t h “  oftmals identisch mit   s c h ö n   ist.

Was das Zahlenverhältnis der verschiedenen Volksstämme Galiziens betrifft, so zerfällt dassselbe: in 2 Millionen Polen, 2.300.000 Ruthenen, 575.918 Juden und 165.000 Deutsche.

Der Rest besteht im östlichen Theile des Landes aus wenigen Magyaren, Rumänen, Armeniern und Zigeunern. Der Confession nach zählen 2.509.015 zur römisch-katholischen, 2.315.72 zur griechisch-unierten, 1369 zur griechisch-orthodoxen und 2102 zur armenischen Kirche. Die   P r o t e s t a n t e n  Galiziens zerfallen in 33.992 augsburgischen und 5711 helvetischen Bekenntnisses und haben ihren Superintendenten in Lemberg. Die Protestanten sind fast ausschließlich deutscher Nationalität. Die ersten Deutschen haben sich in diesem völlig slavischen Lande urkundlich im dreizehnten Jahrhundert angesiedelt, wo sie mehrere Ortschaften gründeten, deren deutsche Namen noch heute, wiewohl durch die polnische Schreibweise verunstaltet, an ihre Heimat erinnert. So Lancut (Landshut), Lanckorona (Landskron), Pilzno (Pilsen) und andere. Noch stärker wurde die deutsche Einwanderung unter Kasimir dem Großen, welcher durch deutschen Gewerbefleiß, Handel und Industrie die Wohlfahrt des Landes zu heben versuchte. Als Krakau 1430 Hansestadt wurde, gewann das deutsche Element noch größere Ausbreitung.

Indeß war das Land, als es späterhin nach dem Untergang des polnischen Reiches, 1772, an Oesterreich fiel, durch die Kriege und Unruhen, welche der Theilung Polens vorangegangen, in eine Wüste mit einer decimirten, halbverhungerten Bevölkerung verwandelt. Kaiser Joseph II. berief deutsche Colonisten, größtentheils aus Württemberg, welche in die Verkommenheit und das unsägliche Elend des Landes wieder die ersten Keime der Cultur legen sollten. Von dieser deutschen Einwanderung während der Regierungszeit Joseph’s II. sind gegenwärtig noch 134 Ansiedelungen, zumeist im Lemberger Kreise, erhalten. Sie bilden in religiöser wie nationaler Beziehung Oasen sowohl im polnischen wie im ruthenischen Sprachgebiete. Nach dem Tode Joseph’s II. kümmerte sich indeß die österreichische Regierung nicht weiter um die deutschen  Ansiedlungen und dachte auch nicht daran, sie zu vermehren. Die geringen Versuche, in Galizien bessere Culturzustände herbeizuführen, geriethen wieder ins Stocken. Die großen Güter des Adels waren entwerthet und verschuldet, der Landmann kämpfte mit Noth und Elend, die zahlreiche Judenschaft verstand es im Trüben zu fischen und sich den Säckel zu füllen.

Dieser trostlose Zustand des Landes währte mehr oder minder fühlbar über ein halbes Jahrhundert, ja erst im Laufe der Neuzeit vermochte sich in Galizien ein neuer Culturabschnitt Bahn zu brechen, der indeß bis zur Stunde kaum über die ersten Anfänge hinaus ist.

Wiewohl nun die deutschen Ansiedelungen unter solchen höchst ungünstigen Verhältnissen ihrem Schicksale überlassen wurden, so wußten die Colonisten dennoch durch deutschen Fleiß, Beharrlichkeit und rationelle Bewirthschaftung des in der Regel fruchtbaren Bodens sich eine erträgliche, ja theilweise sogar wohlhabende Existenz zu schaffen. Die deutschen Ansiedelungen boten blad einen vortheilhaften Gegensatz zu der sie umgebenden Indolenz, Armuth und Verkommenheit des polnisch-ruthenischen Elements, das nur die Hände rührte, wenn es nicht thatsächlich zu verhungern galt. Man hätte glauben sollen, das Emporblühen der deutschen Ansiedelungen wäre gerade im Hinblicke auf die sonst so gedrückten Landesverhältnisse geeignet gewesen, für Oesterreich als Hinweis zu dienen, wie und wodurch das Land emporzuheben  und bezüglich seines Bodenreichthums auszunutzen sei. Es geschah indeß wenig oder nichts,  welche Nichtbeachtung der Landesinteressen Galizien noch heute zu beklagen hat.

Dennoch wußten sich die deutschen Ansiedelungen bis zur Stunde in ihrer günstigen wirthschaftlichen Lage zu erhalten, welche dem Beobachter gelegentlich eines Besuches der Colonistendörfer sofort in die Augen springt.

Wir hatten zwar nicht Gelegenheit, jene in der Umgebung Lembergs zu besuchen, sondern beschränkten unsere Wahrnehmungen nur auf mehrere im westliche Rzezower (sprich Rscheschower) Kreise gelegene Ansiedelungen, welche indeß bezüglich ihres Aeußern und übrigen Charakters, nach der Versicherung kundiger  Gewährsmänner, von den übrigen Colonien nächst Lemberg nicht verschieden sind. Zumal besuchten wir wiederholt die Dörfer Wildenthal, Ranischau (eigentlich Rheinischau) und Stein, welche innerhalb des Rzeszower Kreises sich befinden, der längs des Sanflusses das polnische Westgalizien von dem ruthenisch-östlichen Landestheil abgrenzt.

Schon das Aeußere dieser deutschen Dörfer ist von dem der polnischen und ruthenischen völlig verschieden. wenn auch die deutschen Wohnhäuser wie die der slavischen Landleute wegen der Billigkeit des Holzes aus diesem gezimmert sind, so besitzt das deutsche Colonistenhaus doch stets ein freundliches, nettes Aussehen, während die Hütte des Polen oder Ruthenen, in der Regel schlecht gebaut, mehr einem stalle als einer Menschenwohnung ähnlich und im Innern überaus unrein ist. Die polnische wie die ruthenische Bauernfamilie bewohnt oftmals auch wirklich mit ihrem Viehstande, zumal während des Winters, den einzigen Raum ihrer Hütte, wo für die Familie nicht einmal Betten, sondern nur schmutzige, mit einem alten Schafpelz oder einigen Lumpen bedeckte Strohlager vorhanden sind. In der Stube des deutschen Colonisten sieht es dagegen stets rein und wohnlich aus. Die Fensterscheiben sind blank geputzt und hin und wieder giebt es auch Gardinen, zwischen welche blühende Blumen hervorblicken. Die hohen Federbetten in der Ecke der Stube, die buntbemalten Kleiderkisten und oftmals blankgescheuertes Zinngeschirr, ein Erbstück von den Vorfahren aus der fernen schwäbischen Heimath, verleugnen keinen Augenblick ihre germanische Herkunft. Da die Colonisten gläubige Protestanten, so fehlt in keiner Stube das Gesangbuch, in dem Sonntags von Alt und Jung fleißig gelesen wird.  Der Küche ist stets ein besonderer Raum angewiesen, währen Stall- und Wirthschaftsgebäude immer nach dem Hofe zu liegen. Hinter diesem befindet sich in der Regel ein kleiner Obst- und Gemüsegarten, dazwischen ein Blumenbeet oder wenigstens einige Zierpflanzen. Das ganze Haus- und Wirthschaftsgrundstück ist sauber gehalten und in mustergültiger Ordnung, während es bei dem Polen oder Ruthenen immer unrein, liederlich oder schadhaft ist. Man kann den deutschen Colonisten schon in seinem Wagen auf der Landstraße von seinem slavischen Nachbarn unterscheiden, wiewohl jener, wenigstens an Wochentagen,  ziemlich dieselbe Kleidung wie letzterer, indeß im reinlichern Zustande, trägt.

Was das innere Leben dieser Colonisten betrifft, so bilden die Bewohner eines jeden Dorfes gewissermaßen eine große Familie, welche unter sich stets in    d e u t s c h e r   Sprache verkehrt. Eigenthümlich ist, daß im Laufe der Zeit ihr ursprünglich alemannischer Dialekt ganzverloren gegangen. Sie sprechen gewöhnlich ein ziemlich gutes Deutsch mit etwas breiter slavischer Aussprache, welche daher rühren mag, daß sie, jenachdem  sie in West- oder Ostgalizen wohnen, auch fertig polnisch oder ruthenisch sprechen, was zum allgemeinen Verkehr im Lande jedenfalls nothwendig ist.

Ehen werden Seitens der Colonisten stets innerhalb ihres Dorfes oder doch ihrer Landsmannschaft geschlossen, was nicht allein in nationaler, sondern noch vorwiegender in religiöser Beziehung bedingt ist, weil, wie wir schon bemerkt, die Colonisten sämmtlich  P r o t e s t a n t e n   im Gegensatze zu ihren polnisch-katholischen und griechisch-unierten Nachbarn sind.  Selbst solche Colonisten, welche ihr Heimathdorf verlassen und sich zum Betriebe eines Gewerbes in einer Stadt niedergelassen haben, pflegen niemals eine Ehe mit einer Polin oder Ruthenin zu schließen, sondern kehren in der Regel zur Brautwerbung nach ihrem Dorfe oder doch innerhalb des Kreises ihrer Landsleute zurück.

Wiewohl der Pole, zumal der Edelmann, dem Deutschen und allem was deutsch, unfreundlich, ja oftmals gehässig gesinnt ist, so vermag er doch nicht die überaus vortheilhaften Eigenschaften in Abrede zu stellen, welche den deutschen Colonisten vor dem polnischen oder ruthenischen Bauer auszeichnen. Gelegentlich unserer vielfältigen Besuchen auf polnischen Gutshöfen in der Nachbarschaft der großen Colonistendörfer Wildenthal, Ranischau und Stein haben wir bei polnischen Gutsbesitzern häufig  Colonisten als Wirthschaftsbeamte, Arbeiter und Diener beschäftigt gefunden und zwar jedesmal zur vollen Zufriedenheit ihrer polnischen Dienstherren.

Wenn nun auch diese Colonisten im fernen slavischen Osten für Deutschland verlorene Landsleute sind, so kann es doch mit Befriedigung und Stolz auf jede Ansiedelungen blicken, weil diese auch dort dem deutschen Namen Achtung und Ehre erworben.

   

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Ausgabe 1901, Band 80, Seite 215 /216**

D e u t s c h t u m   i n   G a l i z i e n    u n d   d e r   B u k o w i n a.

So sehr auch das Deutschtum in Galizien zurückgegangen ist und auch vielfach dem erstarkten Polentum Platz gemacht hat,  zeigt sich doch da, wo   d e u t s c h   -   e v a n g e l i s c h e   S c h u l e n  bestehen, ein Festhalten am Deutschtum und ein Wiedererwachen desselben, worüber wir in den Mitteilungen des Allgemeinen  deutschen Schulveriens 1901, Nr. 7 eine eingehende Schilderung finden.

Nach dem Superintendentialbericht befinden sich in Galizien-Bukowina noch 105 deutsch-evangelische Schulen mit 6929 Kindern, die von 124 Lehrern unterrichtet werden. 94 Schulen sind einklassig, 6 zweiklassig, 5 Schulen drei und mehrklassig.

Trotz der nicht immer genügenden Lehrkräfte und Lehrmittel, der häufig mangelhaften Schulhäuser sind die Schulverhältnisse in den deutsch-evangelischen Gemeinden Galizien-Bukowina noch im allgemeinen befriedigende, ja in einzelnen Gemeinden, nach dem Ausspruch polnischer Schulinspektoren, vorzügliche zu nennen, besonders im Vergleich mit den Schulverhältnissen, die im allgemeinen in Galizien herrschen; giebt es doch nach Dr. Graf Stan. Heinr. Badeni in Galizien 669313 schullose, d.h. 47,13 Proz. der schulpflichtigen Kidner, ja selbst in Städten wie Krakau und Lemberg giebt es 30,1 Proz. resp. 18 Proz. schullose Kinder; im Jahre 1890 gab es in Galizien 18878 nicht einmal eingeschulte Gemeinden, 1894 bis 1895   466 unbesetzte Lehrerstellen und von den 1896 – 1897 bestehenden 4105 Schulen waren 505 unthätig.

Werfen wir einen Blick auf die Bevölkerungszunahme resp. Abnahme der deutsch-evangelischen Gemeinden. In den letzten Jahren haben einige deutsche Gemeinden, wie Reichau, Stryj, Brigidau, Königsberg,  Steinau allerdings erhebliche Einbußen erlitten durch Übersiedelung ihrer Bewohner in die galizischen Städte sowie Auswanderung in die benachbarten russischen Provinzen  (zählt doch Wolhynien allein 56 000 deutsche Kolonisten, die meist von Galizien eingewandert wind), Bosnien, Herzegowina, Posen und Amerika, ja einige Gemeinden (Rehberg, Deutschbach, Alt – Jazow) sind geradezu in der Auflösung begriffen. Aber trotz dieser starken Verluste weist die Seelenzahl der deutsch-evangelischen Gemeinden Ende 1899 keine Verminderung gegenüber früher auf, ebenso wenig die Volkszählung von 1900. Es betrug die Seelenzahl:

                               Galizien                                               Bukowina

1878                      33 579                   +             11 007                   = 44 586

1897                      42 973                   +             17 291                   = 59 364

1898                      42 651                   +             17 673                   = 60 324

1899                      42 496                   +             17 969                   = 60 465

 

Die deutsch-evangelische Bevölkerung hat sich danach in 22 Jahren in Galizien und der Bukowina um 35 Proz. vermehrt. Besonders stark ist die Vermehrung des deutschen Elements in der Bukowina, wo die Volkszählung 1880  108 000,  1890 dagegen 133.000 Deutsche (20,82 Proz. der Gesamtbevölkerung) nachgewiesen hat.

 

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Anmerkung:

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