Auszug aus:  Friedrich Moritz Gehre (1852 - 1918)*

„Die deutschen Sprachinseln in Österreich“

Großenhain 1886,  Seite 62 – 65:

„Die deutschen Sprachinseln in Galizien“

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Nicht leicht wird es dem deutschen Elemente in Galizien, sich gegen die Polen und Ruthenen aufrecht zu erhalten. Die Volkszählung weist zwar in diesem Kronlande noch 324.336 Deutsche auf,  doch sind in dieser Zahl ungefähr 240.000 Juden  eingeschlossen, die sich seit einer Reihe von Jahren mehr und mehr dem herrschenden Stamme der Polen in Denkart und Sprache anbequemen und vielleicht schon bei der nächsten Volkszählung zu einem größeren oder geringeren Teile als ihre Umgangssprache das Polnische bezeichnen werden. Sieht man also von den 240.000 Israeliten ab, so finden sich gegenwärtig in Galizien nur etwa 85.000 Deutsche, die sich deutsche Sprache und Sitte noch bewahrt haben. Von diesen haben aber nur etwa 40.000, die sich zur evangelischen Kirche bekennen, begründete Aussicht, sich auf längere Zeit noch deutsch zu erhalten. Die deutschen Katholiken, die in nicht unbeträchtlicher Zahl in den größeren und mittleren Städten des Landes leben und auch einige selbständige Gemeinden bilden, werden allmählich polonisiert, weil sie in den meisten Fällen weder deutschen Gottesdienst noch deutschen Unterricht haben. Tausende unserer katholischen Stammesgenossen sind schon durch die polnische Schule und Kirche dem Deutschtum verloren gegangen oder werden in den nächsten Jahren noch verloren gehen. Leider gebärden sich die entnationalisierten Deutschen in Galizien oft noch fanatischer als die Polen selbst.

Wer Galizien seit 1866 nicht mehr betreten hat, wird heute die nationalen Verhältnisse daselbst gänzlich verändert finden. Wie die Polen auf das gesamte Cisleithanien in mehr als einer Beziehung einen unheilvollen Einfluß ausüben, so haben sie auch in Galizien in den letzten 19 Jahren einen wahren Terrorismus gegen alles entfaltet, was sich ihnen nicht eng anschloß. Obwohl die Polen nur die Hälfte der Bevölkerung Galiziens bilden, so haben sie doch fast alle Aemter, alle Stellen in Besitz; die drei Millionen Ruthenen, welche die Mitte und den Osten des Landes bewohnen, werden schonungslos vergewaltigt. So weit hat es der Einfluß des polnischen Clerus und Adels gebracht, daß nur noch drei Ruthenen im Wiener Reichsrat und nur noch acht im galizischen Landtage sitzen.  Während die Polen über 22 Mittelschulen verfügen, existiert für die gleiche Anzahl Ruthenen nur ein einziges Gymnasium mit ruthenischer Unterrichtssprache. Die deutschen Beamten und Lehrer, die sich um die Entwickelung des Landes hoch verdient gemacht haben, sind fast alle verdrängt und durch Polen ersetzt worden. In den größeren und mittleren Städten Galiziens, namentlich in Krakau, Tarnow, Rzeszwo, Jaroslaw, Przemysl, Lemberg, Tarnopol, Stanislau, Drohobycz u.a., konnte man sich in früherer Zeit ohne irgend welche Kenntnis der polnischen Sprache unschwer verständlich machen und zurecht finden. Ein nicht geringer Teil der Bürgerschaft sprach deutsch und pflegte das Deutsche in den Schulen. Heute ist das ganz anders geworden; dem Reisenden kommt es vor, als sei unsere Sprache in diesen polnischen Städten im Aussterben begriffen. Zu beklagen ist es, daß die Deutschen in Galizien nicht im Besitze einer einzigen Zeitung sind; alle Versuche, ein deutsches Blatt zu gründen, scheiterten am Terrorismus der Polen, welche die Buchdruckereibesitzer, die sich entschlossen, eine deutsche Zeitung probeweise herauszugeben, auf das härteste bedrohten.

In neuester Zeit werden auch die evangelischen Deutschen, die als fleißige Bauern seit 100 Jahren unter großen Mühsalen ihr Volkstum bewahrt haben, mehr und mehr vom Polonismus bedroht. Durch Ueberredung und Einschüchterung versucht man hier und da die deutschen Kolonistengemeinden zu dem Entschluß zu bringen, das Polnische, das schon Lehrgegenstand in allen deutsch-evangelischen Schulen ist, als Unterrichtssprache  einzuführen. Daß diese Gemeinden, denen leider jeder Mittelpunkt fehlt, sich bisher der Polonisierung erwehrt haben, verdanken sie hauptsächlich dem Gustav-Adolf-Vereine, der seit mehr als einem halben Jahrhundert nach Kräften für deutschen evangelischen Gottesdienst und deutschen Unterricht gesorgt hat. In den letzten Jahren hat auch in einzelnen Gemeinden der deutsche Schulverein helfend eingegriffen.

Die deutschen Ansiedlungen in Galizien, die zum Teil vereinzelt im polnischen und ruthenischen Sprachgebiete liegen, zum Teil aber auch kleine Gruppen bilden, wurden zumeist in der Zeit von 1781 – 1787 von Auswanderern aus Baden, Würtemberg, Hessen, Nassau, der bayerischen Pfalz und dem Elsaß gegründet. Kaiser Josef II. siedelte nicht weniger als 12.000 Deutsche in den Kreisen Sambor, Rzeszow, Lemberg, Zolkiew, Sanok, Sandez, Bochnia, Przemysl und Stryi mit einem Kostenaufwande von 2 Millionen Fl. an. In späterer Zeit breiteten sich die deutschen Ansiedlungen auch nach den Kreisen Brzezan, Zloczow, Tarnopol und Stanislau aus.

Fast in jedem Jahrzehnte unseres Jahrhunderts entstanden noch neue Dörfer, 1804 z. B. Lindenau, 1806 Neu-Maikowice, 1810 Neu-Bogutschütz, 1816 Heinrichsdorf, 1820 Felsendorf, 1821 Rehberg, 1824 Theodorshof, 1829 Deutschbach und Einsingen, 1838 Augustdorf bei Sniatyn, Branislawowka, Sobolowka und Romanowka, 1843 Konopkowka, 1848 Mikulsdorf bei Ottynia, 1853 Stanin, 1882/3 Rudolfshof bei Groß-Mosty und 1883 Heinrichshof bei Strzeliska. Drei der deutschen Dörfer, Einsiedel, Rosenberg und Falkenstein, verdanken den Mennoniten ihr Dasein. Die an der Westgrenze Galiziens gelegenen deutschen Ortschaften Biala, Alen, Lipnik, die mit der deutschen Sprachinsel von Bielitz in Schlesien in engem Zusammenhange standen, sowie die Ortschaft Wölmesau (poln. Wilamowice) bei Kenty stammen aus älterer Zeit. Desgleichen mögen auch die in der Nähe von Bielitz und Kenty gelegenen, schon seit mehreren Menschenaltern polonisierten Orte Altendorf (poln. Starawies), Seibersdorf (poln. Kozy), Riklsdorf (poln. Mikuszowice), Wolfsdorf (poln. Wilkowicke) und Komorowice, deren Bewohner zum Teil heute noch deutsche Familiennamen haben, in früheren Jahrhunderten angelegt sein.

Als deutsch oder überwiegend deutsch müssen heute noch folgende Ortschaften angesehen werden:

In der Bezirkshauptmannschaft   B i a l a:    Biala, Alzen, Lipnik (früher Kunzdorf) und Wilamovice (früher Wölmesau);

in der Bezirksh.  B o c h n i a: Bogutschütz, Chodynice, Neu-Gablau, Maikowice und Trinitatis;

in der Bezirksh.  W i e l i e z k a:  Lednitza;

in der Bezirksh.  S a n d e z:  Hundsdorf, Dambrowka, Stadlo, Neudörfl, Solkowitz, Hutweide, Laufendorf, Wiesendorf, Wachendorf und Sbikowice;

in der Bezirksh.   B r z o z o w: Kazimirowski;

in der Bezirksh.   M i e l e c: Josefsdorf, Reichsheim, Schönanger, Hohenbach, Padew, Tuszow und Preppendorf;

in der Bezirksh.   K o l b u s z o w:  Wildenthal und Ranischau;

in der Bezirksh.   L a n c u t:   Baranowka, Gillershof, Königsberg und Dornbach;

In der Bezirksh.   R i s k o:  Steinau und Rauchersdorf;

in der Bezirksh.   D o b r o m i l:  Engelsbrunn, Falkenberg, Makowa, Oberdorf, Prinzenthal, Rosenberg und Steinfels;

in der Bezirksh.    L i s k o:  Bandrow und Siegenthal;

in der Bezirksh.   S a m b o r:  Burczyce, Kausersdorf, Neudorf und Kranzberg;

in der Bezirksh.   D r o h o b y c z:  Gassendorf, Neudorf, Josefsberg, Königsau und Ugartsberg;

in der Bezirksh.   R u d k i:  Neu-Rupnowice;

in der Bezirksh.   J a w o r o w:  Berdikau, Mosberg, Rehberg, Schumlau, Kuttenberg, Hartfeld und Kleindorf;

in der Bezirksh.   G r o d e k:   Brunndorf, Burgthal, Ebenau, Hartfeld, Neuhof, Borderberg, Weißenberg, Ottenhausen, Rottenhan, Schönthal, Walddorf und Grünthal;

in der Bezirksh.   L e m b e r g:   Kaltwasser, Dornfeld, Einsiedel, Falkenstein, Lindenfeld, Reichenbach, Rosenberg, Unterbergen, Weinbergen und Neu-Chrusno;

in der Bezirksh.   C i e s z a n o w:   Deutschbach, Freifeld, Fehlbach und Felsendorf;

in der Bezirksh.   R a w a   r u s k a:  Einsingen, Brückenthal und Deutsch-Smolin;

in der Bezirksh.   Z o l k i e w:  Ehrenfeld, Wiesenberg, Theodorshof, Reichau, Burgau, Lindenau, Josefinendorf und Rudolfshof; 

in der Bezirksh.    Z l o c z o w:   Branislawowka;

in der Bezirksh.   P r m z y s l a n y:   Unterwalden, Uszkowice, Kimirz und Dobrzanica;

in der Bezirksh.    K a m i o n k a   s t r u m i l o w a:    Hanunin, Josefow, Heinrichsdorf, Romanowka, Sapiezanka, Mirow, Stanin und Suszno;

in der Bezirksh.   B o b r k a:  Ernstdorf, Mühlbach, Rehfeld, Heinrichsdorf und Beckersdorf;  

in der Bezirksh.   T a r n o p o l:  Konopkowka bei Mikulin;

in der Bezirksh.   C z o r t k o w:  Polowce;

in der Bezirksh.    Z a l e s z c z y k i:  Karolowka;

in der Bezirksh.  S t r y j:   Annaberg, Felicienthal, Karlsdorf, Gelsendorf, Neu-Olenice und Brigidau;  

in der Bezirksh.    D o l i n a:   Ludwikowka, Engelsberg, Hoffnungsau, Pöhersdorf, Debolowka, Neu-Babilon und Neu-Hoziechow;

in der Bezirksh.   K a l u c z:   Landestreu und Ugartsthal;

in der Bezirksh.   K o l o m e a:  Neudorf und Mariahilf;

in der Bezirksh.   T l u m a t z:   Konstantinowka und Mikulsdorf;

in der Bezirksh.   N a d w o r n a:  Neudorf bei Ottynia, Bredtheim und Strupkow;

in der Bezirksh.   S n i a t y n:  Augustdorf und

in der Bezirksh.   S t a n i s l a u:   Khnihinin.

Mindestens 9/10 dieser Ortschaften werden von den evangelischen Deutschen bewohnt, welche mit großen Opfern insgesamt 106 Privatschulen unterhalten. Leider sind von den 122 Lehrerstellen dieser Anstalten etwa 40 unbesetzt; die armen Gemeinden sind nicht im stande, ihren Lehrern eine auskömmliche Besoldung zu geben. Und doch hängt von den deutschen Schulen die ganze Existenz der zahlreichen deutschen Sprachinseln Galiziens ab! Gehen die deutschen Privatschulen zu Grunde, werden die deutschen Kolonien genötigt, ihre Kinder in die öffentlichen Schulen zu schicken, so wird eine deutsche Gemeinde nach der anderen polonisiert werden. Gelingt es aber, die deutschen Schulen aufrecht zu erhalten und sie alle mit tüchtigen deutschen Lehrkräften zu besetzen, so werden die deutschen Dörfer Galiziens auf lange Zeit hinaus in ihrem nationalen Bestande gesichert sein! Mit einem Aufwande von etwa 100.000 Mark könnte dies erreicht werden! Sollten die deutschen Schulvereine in Berlin und Wien, wie auch der Gustav-Adolf-Verein nicht im stande sein, diese Summe im Verlaufe von 5 – 10 Jahren aufzubringen?

 

*Text gemeinfrei gem. § 64 UrhG; online:   https://archive.org/details/diedeutschenspra00gehr

Irrtum der Abschrift vorbehalten; Rechtschreibung aus der Vorlage übernommen