Auszug aus:

Graf Eduard Racynski (Autor)[1]  /   Friedrich Heinrich von der Hagen (Hrsg.)[2]

MALERISCHE REISE IN EINIGEN PROVINZEN DES OSMANISCHEN REICHS

(aus dem Polnischen übersetzt),  Neuauflage Breslau 1828, S. 6 - 13

(Erstausgabe 1821, deutsche Erstausgabe 1824)

Am neunzehnten Juli setzte ich bei Uscilug über den Bug-Strom, welcher seit dem Preßburger Frieden das Herzogthum Warschau von dem Russischen Reiche scheidet. In frühern Zeiten haben unsere Voreltern unter den Piastischen Königen zu wiederholten malen in diesen Gefilden glücklich gegen die Reussischen Fürsten gekämpft. Gleichzeitige Geschichtschreiber erwähnen eines entscheidenden Sieges, welchen Boleslaus der Tapfere im Jahr 1019 über den Fürsten von Nowogrod Jaroslaus erfocht. Die Reussen verloren an diesem verhängnißvollen Tage den größten Theil ihres Heeres, und benannten darum den Fluß Bug, das häßliche und schwarze Wasser.

Ostwärts von Uscilug liegt das Städtchen Wlodzimirz, einst die Hauptstadt eines Fürstenthums desselben Namens, von dem Reussischen Fürsten Wolodimir im zehnten Jahrhundert erbauet; von hier begab ich mich nach Luck. Traurig ist der Zustand dieser Ortschaften, in welchen schmutzige Hütten, von Juden bewohnt, planlos neben den Trümmern prächtiger Kirchen und Schlösser hingestreut, einen traurigen Kontrast bilden gegen die Vergangenheit, die eben so glänzend war, als der jetzige Zustand bedauernswürdig ist. Der Mangel an Manufacturen ist wohl die Hauptursache des unglücklichen Zustandes der Städte in Wolhinien, doch ist der Urgrund desselben in den häufigen Einfällen der Tartaren und Kosaken zu suchen, welche diese Gegenden so oft verwüstet haben. Schon in dem dreizehnten Jahrhunderte verheerten die Tartaren unter ihrem Fürsten Batukan das südliche Polen[3]. - Das einst sehr feste Schloß in Luck[4] steht nun öde und verlassen da. Es ist nicht bekannt, wer der Erbauer desselben gewesen, doch glaube ich nicht, daß es ein Werk des Reussischen Fürsten Wolodimir sey, welcher die Stadt selbst angeleget hat. Die Vesten damaliger Zeit baute man in diesen Gegenden blos von Holz und umgab sie mit Erdwällen.

Dieses alterthümliche Gebäude gewährt dem Freunde der vaterländischen Geschichte ein warmes Interesse. Hieher kamen, im Jahr 1429, zu einer glänzenden Versammlung, der König Wladislaus von Polen, Withold, sein Bruder, der Deutsche Kaiser Sigismund nebst seiner Gemahlin, der Russische Czar Basilius, der König von Dänemark Erik, die Großmeister der Kreuz- und Schwert-Ritter und die Gesandten des Griechischen Kaisers Palaeologus. Der Zweck der Zusammenkunft war, sich über die Mittel zu verständigen, um der immer drohender andringenden Türkischen Macht Einhalt zu thun. Doch hatte der Römische Kaiser dabei noch den geheimen Zweck, die Vereinigung von Polen und Lithauen zu hintertreiben, die zu Stande kommen sollte. In dieser Absicht schlug der Kaiser dem Prinzen Withold vor, sich zum Könige von Lithauen zu erklären. Withold nahm den Antrag des Kaisers willig auf, doch war er vaterländisch genug gesinnt, um die Einwilligung des Königs und der Reichs-Stände zu erfordern. Die Sache wurde im Reichs-Rathe vorgetragen und verworfen. Unmuthig verließ der Kaiser seinen Bundesgenossen, ohne seine neidische Absicht erreicht zu haben.

Die Landschaft zwischen Luck und Dubno ist höchstmalerisch; fast jeder Hügel bietet dem Auge eine ebenso ausgebreitete als reizende Aussicht dar. Die felsigen Gegenden um Krakau, gelten allgemein für die schönsten in Polen: ich aber wäre geneigt, diesem Theile des Wolhinischen Gouvernements den Vorzug zu geben. Sanft erhobene Hügel, wohl angebaut, und mit üppig wachsenden Saaten bedeckt, gewähren, meiner Meinung nach, dem Auge ein gefälligeres Bild, als Massen von Marmor und Granit-Felsen, über welchen die Natur gleichsam einen Fluch ewiger Unfruchtbarkeit ausgesprochen hat, und welche in einem Maler selbst, höchstens nur den Maler, nicht den Menschen zugleich, ansprechen können. Der fruchtbare Boden dieses Landes, das frische Grün der Wiesen, zahlreiche Heerden eines bekanntlich ausgezeichnet schönen Hornviehes, anmuthige Haine, klare Gewässer, stellen ein Bild zusammen, welches meinen Geist plötzlich in jene arcadischen Gefilde versetzte, die ein Theokrit und Geßner so glücklich gedichtet und besungen haben. Diese schönen Landschaften gewähren nicht nur dem Auge einen angenehmen Genuß, sondern sie flößen auch dem Wanderer das beruhigende und wohlthuende Gefühl ein, daß die gütige Natur die Bewohner dieses Erdstrichs reichlich mit allen Bedürfnissen des Lebens gesegnet hat. Nicht so befriedigend ist der Zustand der hiesigen Landleute. Diese Menschen, ohne alle Erziehung, sind unreinlich und düster; sie haben weder den regeren Geist der Einwohner des westlichen Polens, noch die muntere frohe Laune der Krakauer. Es fiel mir schwer, ihre Sprache zu verstehen. Unsere Voreltern haben einen großen politischen Fehler begangen, daß sie nicht alle Mühe angewendet haben, diese fremdartige, der Russischen so ähnliche Sprache bei diesem Volke umzuändern.

Am zweiundzwanzigsten Juli kam ich nach Ostrog. Dieses elende Städtchen war ehemals befestigt. Das Schloß selbst, einst ein Sitz des Wohlstandes und des Glanzes, ist jetzt dermaßen verfallen, daß man kaum einige Spuren davon findet, außer der den Einsturz drohenden Kirche und einigen Thürmen und Basteyen.

Die Landesgeschichte erwähnt schon im Jahre 1100 dieses Ortes, von dem späterhin das Verdienstvolle Geschlecht des Ostrogski den glorreichen Namen führte. Im sechzehnten Jahrhunderte entführte von hier der Fürst Demetrius Sanguszko die schöne Beata Ostrogska, um die er vergeblich warb. Dieser romanhafte Frevel gab zu einem Reichs-Streite Anlaß, an welchem die vornehmsten Geschlechter von Polen und Lithauen den eifrigsten Antheil nahmen; schon deshalb scheint mir diese Begebenheit eine flüchtige Erwähnung zu verdienen. Der Fürst Sanguszko warb um die Geliebte, erhielt aber von ihrer Mutter, die andere Absichten hatte, eine abschlägige Antwort. Er hatte sich schon früher den Prinzen Basilius Ostrogski, den Oheim der schönen Beata, zum Freunde gemacht, und bat nun um seine Vermittelung; als aber auch diese abgelehnt wurde, sannen die beiden Freunde darauf, mit Gewalt zum Zwecke zu gelangen. Unter dem Vorwande eines Besuchs, begaben sie sich mit einem Gefolge von tausend Reitern nach Ostrog. Eine so beträchtliche Schaar schien dem Burgvogte verdächtig, und er befahl, die Thore zu schließen, doch ehe dieses bewerkstelligt wurde, drangen die beiden Fürsten in den Schloßhof ein, und als man sie hier noch mit Gewalt zurück treiben wollte, wurden einige Soldaten der Besatzung erschlagen. Nun begaben sie sich zu der Prinzessin Mutter, und hier erklärte der Prinz Basilius, daß er seine Nichte dem Fürsten Sanguszko zur Gemahlin versprochen hätte, und daß er diese Verbindung sogleich vollzogen zu sehen wünschte. Trotz allen Vorstellungen beharrten Mutter und Tochter auf ihrer abschlägigen Antwort. Von Zorn entbrannt, ließ der Fürst Basilius den Schloß-Kapellan holen, und befahl ihm, des Sträubens beider Fürstinnen ungeachtet, das Paar zu trauen; dieses geschah, und nach dem die Ehe vollzogen war, ging der Fürst Sanguszko mit seiner jungen Gemahlin auf seine Besitzungen, die Fürstin Mutter aber eilte nach Krakau, um dem damaligen Könige von Polen Sigismund August die Unthat zu klagen.

Der König lud beide Parteyen vor seinen Richterstuhl, erkannte den Fürsten Sanguszko für schuldig und that ihn in die Reichsacht. Dieser wartete das Urtheil nicht ab, sondern flüchtete nach Deutschland, wo er kurz darauf von Zborowski, Castellan von Kalisch, erschlagen wurde.

Am dreiundzwanzigsten Juli erreichte ich Krzywin, wo ich in dem Hause des gastfreyen Fürsten Maximilian Jablonowski und seiner liebenswürdigen Gemahlin einige angenehme Tage verlebte. Das Schloßin Krzywin ist mit einem Wassergraben umgeben, welchen einige Tausend, von dem Feldherrn Stanislaus Jablonowski im siebzehnten Jahrhunderte kriegsgefangene Türken, gearbeitet haben.

Am achtundzwanzigsten Juli setzte ich meine Reise nach Odessa fort. An demselben Tage besuchte ich mit einem erhebenden Gefühle das Schlachtfeld bei Zielenice, wo im Jahre 1792 der Fürst Joseph Poniatowski gegen die Russen einen rühmlichen Sieg erfocht. Zahlreiche Leichenhügel bezeugen den blutigen Kampf. Doch hinderte die furchtsame Staatskunst des Königs von Polen, der den Feldzug nur vertheidigungsweise geführt wissen wollte, seinen ruhmbegierigen Neffen, den errungenen Vortheil zu benutzen. -

In Ostropol setzte ich über den Slucz-Fluß, und bemerkte an dessen Ufern ansehnliche Granit-Felsen. Einige Meilen weiter kam ich in die Steppen. Schwerlich bietet eine und dieselbe Gegend einen so verschiedenen Anblick dar, als eine Steppe, nach der Jahreszeit, in welcher man sie besucht. Im Frühjahr entfaltet sie einen unermeßlichen Teppich der schönsten Blumen, welche in diesem Boden üppig und mannigfaltig aufsprieſsen, und dem Botaniker keine geringe Ausbeute gewähren dürften. Im Sommer sind die Blumen bereits verdorret, und an deren Stelle strecken sechs Fuſs hohe, aschgraue Disteln, dem müden Wanderer ihre Stacheln ungastfreundlich entgegen.

Die ganze Gegend zwischen Ostropol und Human, deröstliche Theil des Wolhinischen, und westliche des Podolischen Gouvernements, bieten dem Auge fast gar keine Abwechselung: der Boden ist überall fruchtbar, die Dörfer sind sehr volkreich, doch schlecht gebaut, und oft zwei Meilen von einander entfernt. Die Bevölkerung des Wolhinischen Gouvernements giebt man auf achthundert tausend männliche und weibliche Seelen an. Doch sind in dieser Zahl weder die adelichen Gutsbesitzer, noch die zahlreichen Juden mit inbegriffen.

Am einunddreißigsten Juli traf ich in Human ein. Dieses Städtchen ist viel besser gebaut, als alle, welche ich bis dahin auf meiner Reise gesehen hatte. In der Geschichte der ersten Regierungsjahre des letzten Königs von Polen, steht es mit blutiger Schrift bezeichnet. Ein Haufen Saporogischer Kosaken, die damals noch fast unabhängig waren, brach in der Nacht in Human und in der benachbarten Gegend ein, und metzelte einige Tausend Menschen nieder. Mit Beute beladen kehrten sie ungestraft in ihre Schlupfwinkel an den Ufern des Dniepers zurück.

Die verwittwete Gräfin Felix Potocka besitzt in dieser Gegend einen Garten, welcher den schönsten in Europa an die Seite gesetzt werden kann, und der ihr zu Ehren Sophiowka, oder Sophienort benannt ist. Diese reizende Anlage zieht sich eine Viertelmeile weit, in einem von zween felsigen Hügeln eingeschlossenen Thale hin. Mit Staunen sah ich in dem Garten einen vierzig Fuß breiten Fluß wild zwischen Granit-Felsen einher rauschen, sich von einer Höhe von achtundvierzig Fuß fast senkrecht herabstürzen, und in einen See ergießen, der mit den seltensten Gewächsen und Pflanzen umgeben ist. In einiger Entfernung ragt aus dem See ein Granit-Fels hervor, aus welchem ein Springbrunnen sich mächtig und kühn achtzig Fuſs hoch erhebt. Der Durchmesser der Wassersäule ist unten drei Zoll stark, oben breitet sich dieselbe aus, und bildet eine alabasterähnliche durchsichtige, riesenhafte Säule, wie eines Feenpalastes. Diesen Theil des Gartens scheint die Besitzerin vor allen liebevoll geschmückt zu haben. An dem Ufer des Sees steht  eine antike marmorne Bildsäule eines Römischen Consuls. Kopf und Faltenwurf sind vorzüglich schön und unbe zweifelt antik; Füße und Hände sind ergänzt, und entsprechen keinesweges der Schönheit des Ganzen. Oberhalb des Wasserfalls steht ein Granit-Tempel im Aegyptischen Styl. Ein ansehnlicher Bach ergießt sich über die Kuppel desselben, hüllt das Ganze in ein mystisches Dunkel, und gewährt im Sommer den darin Weilenden die angenehmste Kühle. Vorzüglich reich an Wasser ist dieses liebliche Thal: mitten durch dasselbe fließt ein anmuthiger Bach, der sich bald in mehrere Arme theilt, bald sich wieder in das Hauptbette vereinigt, hier von Klippe zu Klippe schäumend hinabstürzt, dort unter Blumen schlängelnd und tändelnd sich gemüthlich weiter bewegt, und den Wanderer zum Nacheilen einzuladen scheint:    » et fugit . . . . et secupit ante videri.“

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Text gemeinfrei - nur für nicht-kommerziellen Gebrauch -  vgl. Erläuterungen zum Google-Digitalisat                     

Rechtschreibung aus der Vorlage übernommen; Irrtum der Abschrift vorbehalten

 


[1] (1786 – 1845)

[2] (1780 – 1856)

[3] Nach andern, war es nicht Batukan selbst, sondern Peta, ein Unterfeldherr der Tartaren, welcher Polen verheerte. BONFINIUS rer. Ungar. Decas II. Lib. VIII.

[4] historische Fotos: vgl. https://www.myvolyn.de/wolhynien-spezial/historische-fotos.html  

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vgl. auch Casimir Stanislas d'Arpentigny (1791-1861) Voyage en Pologne et en Russie par un prisonnier de guerre de la garnison de Dantzick en 1813 et 1814. Paris 1828 (S. 97 - 127)

online: http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ184026108 

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letzte Änderung: 23.06.2021