Der Schutz religiöser Minderheiten *

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Auf polnischem Gebiet waren bis zum Ende des Mittelalters die Juden die einzige religiöse Minderheit. Dann aber erreichten reformatorische  Überzeugungen das Land – beginnend mit Jan Hus (um 1400), dessen Lehre zunächst noch gesetzlich verboten und ihre Verbreitung unter Strafe gestellt wurde. Nach und nach änderte sich jedoch die Haltung, denn insbesondere im Adelsstand fanden die reformatorischen Vorstellungen viele Anhänger.

Die Protestanten Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses  wie auch die Anhänger der griechisch-unierten und der orthodoxen Kirche blieben lange Zeit bis ins 17. Jahrhundert hinein geduldete Minderheiten neben der katholischen Religion, die Staatsreligion war. Von gleichen Rechten kann jedoch nicht die Rede sein, da beispielsweise die Vergabe höherer Beamten- und Senatorenfunktionen mehrheitlich an Katholiken  erfolgte. Nach den Teilungen Polens Ende des 18. Jahrhunderts verschoben sich die Gewichtungen zugunsten der russischen Orthodoxie und des Protestantismus.

Eine neue Entwicklung begann nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, als Polen durch den „Versailler Vertrag“  ** wieder als eigenständiger Staat konstituiert wurde. Durch diesen Vertrag wurde Polen zusätzlich verpflichtet, zum Schutz von Minderheiten einen weitergehenden Vertrag abzuschließen. Dieser „Minderheitenvertrag“  *** vom 28. Juni 1919 wurde vom polnischen Sejm gemeinsam mit dem Versailler Vertrag ratifiziert und trat am 10. Januar 1920 in Kraft.  Einzelne Regelungen waren in der Folge in die polnische Verfassung eingeflossen, wobei je nach Tatbestand subtile Unterscheidungen getroffen werden zwischen Rechten von „Einwohnern“ und „Bürgern“ (i.S. von Staatsangehörigen). Demnach kann man die Angehörigen der Minderheiten in vier Gruppen einteilen (Meyer S. 26*):

  1. „Diejenigen, die zur Minderheit gehören, aber nicht  das polnische Staatsbürgerrecht besitzen. Sie genießen nur den Schutz des Lebens, der Freiheit  und des Glaubens und sofern sie Jude sind, auch den Schutz des Sabbats.
  2. alle Minderheiten, die polnische Staatsbürger sind, mit Ausnahme der Deutschen, die in Polen außerhalb des früheren preußischen Gebietes wohnen (Kursivsetzung: MW). Sie genießen ohne Einschränkung alle Rechte, die den Minderheiten zuerkannt sind.
  3. Die Deutschen polnischer Nationalität außerhalb des früheren preußischen Gebietes. Sie genießen im allgemeinen die Rechte der Minderheiten mit der Ausnahme, dass sie keine öffentlichen Volksschulen deutscher Sprache sowie besonderer Unterstützungen für Erziehungs-, religiöse oder Wohlfahrtszwecke verlangen können.
  4. Die Juden polnischer Nationalität; sie besitzen alle Rechte, die den Minderheiten zuerkannt sind, außerdem noch die Sonderrechte der Art. 10 u. 11.“

Die polnische Verfassung vom 17. März 1921 enthielt detaillierte Bestimmungen zur Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirchen bzw. Bekenntnis-/ Weltanschauungsgemeinschaften. Zwar wurden auf individueller Ebene Religions- und Bekenntnisfreiheit garantiert, der Staat nahm sich jedoch das Recht zur normsetzenden und kontrollierenden Einflussnahme auf Kirchen und religiöse Verbände. 

Der römisch-katholischen Kirche kam nach der Verfassung die Hauptstellung im Verhältnis zu weiteren (vorgeblich gleichberechtigten) Bekenntnissen zu. Diese Kirche regierte sich selbst „nach eigenen Gesetzen“.  Andere Kirchen und anerkannte Religionsgemeinschaften konnten zwar auch eigene Gesetze erlassen, diese bedurften aber der Genehmigung durch den Staat und waren insoweit  - anders als das durch Konkordat mit dem Vatikan geregelte Verhältnis zur katholischen Kirche – einseitig der staatlichen Gesetzgebung unterworfen.

Für die evangelischen Kirchen im ehemals russischen Gebiet (d.h. in den Landstrichen, die seit dem Frieden von Riga 1921 zum polnischen Staatsgebiet gehörten) galten zunächst alte gesetzliche Bestimmungen aus dem Jahr 1849 weiter. Diese Vorschriften gaben dem Staat das Recht, „tief in die kirchliche Autonomie einzugreifen und seinen Einfluss sogar auf innerkirchliche Dinge auszuüben“ (Meyer, S. 56). Neue rechtliche Grundlagen sind erst im Jahr 1936 verordnet worden, jedoch nicht durch Gesetz, sondern durch Erlass des Präsidenten. ****

Die orthodoxe Kirche in Polen hatte sich mit Synodenbeschluss vom 1.7.1926 als „autokephal“ verkündet und damit ihre Abtrennung von der Moskauer orthodoxen Kirche beschlossen. Die unierte Kirche war zwar Teil der römisch-katholischen Kirche, unterschied sich jedoch – als griechisch-ruthenisch und griechisch-armenisch   - u.a. in der Liturgiesprache und im Ritus.

 

Daneben bestand eine Vielzahl anderer christlicher Bekenntnisgemeinschaften, dazu zählten im ehemals russischen Gebiet Polens z.B. die Adventisten, Neuapostolische Gemeinden, Mennoniten, Urchristen, Mariawiten, Gotteskirche.  Als nichtchristliche Religionsgemeinschaften gab es noch Juden, Karaimen (=Karäer) und Moslems als Minderheiten im neu gegründeten Polen. Für die jüdischen Gemeinden wurde durch Verordnung des Staatspräsidenten vom 14.10.1927 die Organisation der Gemeinden“ einheitlich geregelt (in Schlesien, Posen und Pommerellen blieben teilweise alte Gesetze in Kraft). Die Karaimen 1) (oder „Karäer“) – eine kleine, dem Judentum nahestehende Bekenntnisgemeinde mit nur rd. 1000 Mitgliedern (u.a. in Luzk) – und die Moslems (ca. 6000 Personen) unterlagen weiterhin den Vorschriften der früheren russischen Gesetzessammlung von 1896.

 

* die Ausführungen basieren auf der Veröffentlichung von Heinz Meyer : „Das Recht der religiösen Minderheiten in Polen“ , Berlin 1933  (biographische Daten:  Heinz Meyer, geb. 1906 in Breslau, gefallen kurz vor Ende des II. Weltkrieges,  Studium der Rechtswissenschaften, zeitweise Leiter der Rechtsabteilung des Osteuropa-Instituts der Universität Breslau [Quelle: Tomas Ditt „Stoßtruppfakultät Breslau“, Tübingen 2011, Seite 173])

** Versailler Vertrag 1919, Textfassung : http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/versailles/index.html (Seitenaufruf 22.12.2013)

*** Minderheitenschutzvertrag 1919 (1934 von Polen einseitig gekündigt), Textfassung:

http://www.europa.clio-online.de/site/lang__de-DE/ItemID__219/mid__11373/40208215/default.aspx  (Seitenaufruf 22.12.2013)

**** vgl. weiterführend: Eduard Kneifel „Geschichte der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen“                                       Niedermarschacht b. Winsen a.d. Luhe, 1964, Seite 265 – 271

http://eduardkneifel.eu/data/Geschichte_der_Evangelisch-Augsburgischen_Kirche_in_Polen.pdf  (16,5 MB) (Seitenaufruf 22.12.2013)

 

1) vgl. Leizar Krasnosselsky “Zur Geschichte der Karäer im russischen Reiche”, Bern 1912

online: (pdf - 4 MB)  https://archive.org/details/zurgeschichteder00krasuoft

Leon Wasilewski nennt als Ergebnis der Volkszählung 1921 die Zahl von 1500 Mitgliedern dieser Glaubensgemeinschaft, konzentriert in den Regionen Wilno, Luzk und Halicz  (vgl. "Les Minorités Nationales de la Pologne", Warschau 1927, Seite 42)

 

Zeitschriftenaufsatz 1840 "Etwas über die Karäer in der Krim"

http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/download/pdf/2362981?name=Etwas%20%C3%BCber%20Kar%C3%A4er%20in%20der%20Krim

 

Zum Umgang mit der Glaubensgemeinschaft der Karäer während des 2. Weltkriegs:

Trevisan Semi, Emanuela

"L'oscillation ethnique : le cas des Caraïtes pendant la Seconde Guerre mondiale" (französisch)

In: Revue de l'histoire des religions, Band 206 n°4, 1989. Seite 377-398

http://www.persee.fr/web/revues/home/prescript/article/rhr_0035-1423_1989_num_206_4_2526

 


Abschrift einer Zeitungsnotiz  1846 (ohne Autorenangabe):

"S h i t o m i r.  Die Verordnung, durch welche den Juden zur Pflicht gemacht ward, im Laufe eines Zeitraums von fünf Jahren ihre Nationaltracht gegen die landesübliche Kleidung zu vertauschen, hat im G. Wolhynien bereits günstige Folgen gehabt und wesentlich dazu beigetragen, eine Annäherung zwischen den Juden und der christlichen Bevölkerung herbeizuführen. Gleich nach dem Erscheinen der obenerwähnten Aller höchsten Verordnung beeilten sich die jüdischen Kaufleute in Shitomir, ohne von der ihnen gestellten Frist Gebrauch zu machen, ihre Tracht gegen die Tracht der Russischen Kaufmannschaft zu vertauschen, ja einige unter ihnen fingen sogar an Fracks zu tragen, und im August des vorigen Jahres sah man schon in Shitomir kein jüdisches Costüm mehr. Diesem  Beispiele folgten alsbald auch die jüdischen Gemeinden im Gouvernement und gegenwärtig haben bereits alle Juden in Wolhynien ohne Ausnahme ihre Nationaltracht abgelegt. In Folge eines  Vorschlags der Gouvernements-Obrigkeit haben die angesehendsten Mitglieder der jüdischen Kaufmannschaft jener Stadt sich zur Gründung eines Kaufmanns-Clubs vereinigt, und zur Theilnahme an demselben auch Kaufleute und Beamte der christlichen Confession aufgefordert. Dieser Club ward am 13. Februar mit einem Ball eröffnet, welchem der stellv. Militair-Gouverneur und viele andere Militair- und Civil-Beamte beiwohnten und von welchem sich selbst die Damen der höheren Stände nicht ausschlossen. Zu Anfange des Balles bemerkte man an den anwesenden Juden jene, ihre Nation charakterisierende Schüchternheit, die jedoch bald durch die Zuvorkommenheit und Herzlichkeit, mit der sich ihre Gäste gegen sie benahmen, einer ungezwungenen Fröhlichkeit Platz machte. Mehrere junge Juden und Jüdinnen nahmen mit Leichtigkeit und Anstand an den Tänzen theil. Der Ball dauerte bis nach Mitternacht.  – Dies ist vielleicht das erste Beispiel eines jüdischen Kaufmanns-Clubs in unserem Vaterlande."

Pernausches Wochenblatt – Ausgabe Nr. 19, Samstag, den 11. Mai 1846

 

zur Geschichte der Juden in Wolhynien vgl. "Jewish Virtual Library" (USA):

http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/judaica/ejud_0002_0020_0_20487.html

vgl. auch Arthur L. Goodhart "Poland and the Minority Races", New York 1920, Seite 184 - 191

 

Jüdisches Leben in Luzk

http://www.yivoencyclopedia.org/article.aspx/Lutsk


Arno Lustiger "Jüdische Kultur in Ostmitteleuropa am Beispiel Polens"

Hrsg.  Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2000

http://library.fes.de/fulltext/historiker/00712001.htm