Dreizehn Gemeindeberichte

des wolhyniendeutschen Kirchspiels Roshischtsche

1878 – 1902

verfasst von  Pastor Ludwig Katterfeld (1843 – 1910) und Pastor Georg Friedrich Kerm (1836 – 1903)

in:  Alfred Lattermann (Hrsg.) Deutsche wissenschaftliche Zeitschrift im Wartheland, Heft 2,

Posen 1940, Seite 97 – 146

(Text gemeinfrei gem. § 64 UrhG)   Download pdf 367 KB - 41 Seiten

 

Neben vielen Einzelheiten aus dem kirchlichen Gemeindeleben* sind in den Berichten auch die Ereignisse festgehalten, die Spiegel der wechselvollen politischen Situation sind: zum Beispiel die gesetzlichen Einschränkungen von Landbesitz bzw. Pacht und existenzielle Nöte einzelner Kolonisten, die Auswanderungswellen nach Brasilien, Nord-Amerika und Sibirien, Schwierigkeiten beim Bau von Schul- und Bethäusern, die Suche nach geeigneten Lehrern für die gemeindeeigenen Schulen u.s.w. 

* zu bedenken ist hier, dass  liturgische Ordnungen, bis hin zu Gebetstexten, und Amtshandlungen durch eine vom Kaiser genehmigte Verordnung in vielen Einzelheiten geregelt war. Ein Beispiel hierzu ist aus dem Jahr 1805 erhalten: 

       >>> Link zur Download-Seite der Universität Tartu)  https://dspace.utlib.ee/dspace/handle/10062/25104

Hinzu kommen die Vorschriften des Gesetzes für die evangelisch-lutherische Kirche in Russland aus dem Jahr 1832:

       >>> Link zur deutschen Fassung - Ausgabe 1898: https://archive.org/stream/gesetzfrdieevan00cologoog#page/n5/mode/2up

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Der Verfasser des ersten Berichts - Pastor Ludwig Katterfeld - schreibt rückblickend über die Zeit "in den wolhynischen Wäldern": *

" Was war das für eine wunderbare Zeit, die ich eben erlebt! Nach den bewegten Wochen in St. Petersburg konnte meiner Seele nicht besser gedient werden, als durch diese Mission. (...) Was mich besonders erquickte, war, daß ich wirklich hungrigen Seelen zu predigen hatte. Dabie wurde mir beides, wie ich es bedurfte: eine köstliche Stille zur Sammlung und Vorbereitung in der Einsamkeit  und eine Fülle eigentlicher pastoraler Arbeit - an manchen Tagen von 6 Uhr früh bis 7 Uhr abends ohne Unterbrechung.

Unvergeßlich werden die Tage sein, die ich in den Waldkolonien zugebracht. Früh morgens, in der Regel vor 5 Uhr, ging ich in den Wald, um mir's vom Herrn geben zu lassen, was ich reden sollte.(...) Kam ich nach 6 Uhr ins Haus zurück, so konnte ich mich noch in Eile ankleiden, und es begann die Prüfung der Konfirmanden. Da meist eine erschreckende Unwissenheit an den Tag kam - Schulen gab es nicht - so war dies der ermüdenste Teil. War die Prüfung vorüber, begann der Gottesdienst. Fenster und Türen mußten offen bleiben, denn nur der kleinste Teil konnte Platz finden. Die meisten lauschten vor den Türen auf ihren Wagen draußen.  Der Gesang war freilich entsetzlich (ein solches Gejohl habe ich mein Leben nicht gehört), kam aber aus andächtigem Herzen. Dann aber den Kindern (von denen die meisten buchstäblich zum ersten Mal in ihrem Leben einen Pastor sahen) den guten Hirten vor die Seele zu stellen und seine Stimme die Alten hören zu lasssen, die meist tief ergriffen waren (...).

So köstlich ist mir das Hirtenamt noch nie erschienen, wie unter diesen Verlassenen. So ergriffen war ich selbst nie vom Predigen, so hat's auch der Herr mir noch nie zuströmen lassen. An 2000 haben kommuniziert, gegen 200 wurden konfirmiert, 30 Paare getraut, einige hudnert Nottaufen bestätigt - kurz, was sonst ein Jahr an Arbeit gibt, das drängte sich in einige Wochen zusammen. Zudem habe ich noch die Fernen besucht, um dem eben genesen heimkehrenden Pastor es zu ermöglichen, allmähllich die ungeheure Arbeit, der er schon einmal erlegen, wieder auf sich zu nehmen. Zu dem Kirchspiel Rotschitsche gehören 20-25 000 Seelen. Was soll da ein Mensch!"

* zitiert aus: Anna Katterfeld "Ludwig Katterfeld - Der Bahnbrecher der Inneren Mission in den Baltischen Provinzen" München 1913, Seite 215 - 217

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Ein interessantes Detail der Gemeindeberichte ist die Aufzählung der Kolonien (mit Einwohnerzahlen), die 1899 bei der Teilung des Kirchspiels Roshischtsche der selbständigen Adjunktur Lutzk zugeordnet wurden (hier nachstehend in alphabetischer Reihenfolge zusammengestellt). 

Neben der Kreisstadt Lutzk und dem Flecken Tortschin gehörten zur Adjunktur Lutzk:

 

Name

Einwohnerzahl

Name

Einwohnerzahl

Adamow-Oderade

131

Koloschanka

71

Alexandria-Swerew

257

Konstantinow

52

Alexandrowka

137

Kosin

45

Alt-Antonowka

176

Kutschkarowitsch

110

Antonowka-Podhaez

224

Lidawka

56

Barbatschisna

62

Lipowetz

130

Beidorf

26

Ludwikow

131

Biwaki

41

Ludwinow

58

Bogumilow-Okorsk

196

Ludwischin-Schepel

78

Bolocha

110

Marianowka

59

Bonasowka

130

Marianowka-Poddubitz

101

Choika

46

Miecislaw

51

Dimitrowka

48

Myschin-Kostj

72

Dislaw

31

Natalin-Kolodesch

225

Dobra

34

Neudorf-Tortschin (Nowaja Kakotstschina)

85

Dombrowka

27

Nowaja-Semlja

421

Dombrowo

26

Ochoczin

107

Ellinowka

31

Olgin

142

Florianowka

14

Oljuka

132

Gnidau

257

Ploschtscha-Lomanowka

297

Gregorowka

277

Popowka

39

Haradsche

108

Pulganow

159

Huschtscha

212

Roshanez

136

Jacubowka

59

Sapust

60

Jagwigin

189

Smeninetz

21

Jamki

157

Stafschitz

24

Jamki

88

Uschitzky-Budki

28

Janowka-Tortschin

437

Valentinow

73

Josefine-Gorodok

255

Wertep

4

Josefine-Gorodok

31

Wischnew

72

Kaljuka

62

Wsewolodowka

135

Karlinowka-Tortschin

134

Zeperow

55

Klein-Okorsk

33

Zesarin-Worotnew

178

Klein Valentinow

7

 

 

 

Es waren insgesamt 77 Kolonien mit   7 405 „Seelen“  (für die Stadt Lutzk und die Ortschaft Tortschin sind keine Zahlen angegeben).

 


 

Ein weiterer Bericht über Koloniebesuche eines Pastors wurde  veröffentlicht  unter dem Titel

"Eine Amtsreise durch Wolhynien" im St. Petersburgischen Evangelischen Sonntagsblatt 1871

http://www.myvolyn.de/wolhynien-spezial/amtsreise-1871.html


Mit einer Auswertung des  Kirchenbuchs  Shitomir aus dem Jahr 1836 lassen gleichfalls sehr frühe Spuren der Amtsreise des damaligen Pfarrers Johann Gottfried Becker nachzeichnen.

Siehe Wolhynische Hefte Folge 12, Seite 19 - 31

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letzte Änderung: 16.7.2017